Proteste der Linken in Washington: Komische Show, ernste Lage

Kurz vor dem erwarteten rechten Durchmarsch bei den Kongresswahlen mobilisierte sich die satirische Linke. Rund 200.000 Moderate zeigten Humor wider die Verzweiflung.

"Wenn deine Lösung auf ein Schild passt, hast du das Problem nicht verstanden": die Demonstranten zeigten sich humorvoll und kompromissbereit. Bild: reuters

WASHINGTON taz | "Was genau war das hier nun eigentlich?", fragte Veranstalter und Daily-Show-Comedian Jon Stewart gegen Ende der "Kundgebung zur Wiederherstellung der Vernunft und/oder der Angst" am Samstag. "Million Moderate March" war die Kundgebung zuvor tituliert worden - der Aufmarsch einer Million Moderater, ein Aufruf zur Zusammenarbeit und zum gegenseitigen Respekt.

Jon Stewart und Stephen Colbert, die beiden Satiriker des TV-Senders Comedy Central, hatten allen Wert darauf gelegt, dass die Kundgebung nicht als Mobilisierungsveranstaltung der Demokraten wenige Tage vor der Kongresswahl am Dienstag ausgelegt werden könnte. Aber sie war eine Reaktion auf die Kundgebung "Restore Honor" des konservativen Fox-Kommentators Glenn Beck im August, und so wurde sie von den gut 200.000 Teilnehmern aus allen Ecken der USA auch verstanden.

Heraus kam eine Mischung aus Comedy Show und Musikbeiträgen. "Wir leben in schweren Zeiten, nicht in der Endzeit", sagte Stewart zum Schluss. "Und wir können Abneigungen haben, ohne Feinde zu sein. Leider ist eines unserer Werkzeuge, um das auseinanderzuhalten, kaputtgegangen. Die 24-Stunden-politische-Meinungsmache-und-Panikverbreitung hat unsere Probleme nicht geschaffen. Aber ihre Existenz macht es so viel schwerer, sie zu lösen." Damit war er beim Kernthema, das seine "Daily Show" viermal pro Woche beackert: der hyperventilierende Irrsinn der Kabelsender.

Ein Ehepaar, beide Anfang fünfzig, war aus Alaska gekommen. Ihr Grund: "Wir wollen ein Zeichen setzen. Es kann nicht sein, dass nur die Tea Party mit ihren extremen Positionen ständig in den Medien ist." Auch viele der Schilder, die TeilnehmerInnen mitgebracht hatten, gingen auf die Fähigkeit zur Zusammenarbeit ein: "Ich bin bereit zum Kompromiss", hatte einer geschrieben, oder "Wenn deine Lösung auf ein Schild passt, hast du das Problem nicht verstanden". Die allermeisten TeilnehmerInnen waren dem linksliberalen Spektrum zuzurechnen, und viele Schilder drückten Abneigung gegen die Konservativen und Unterstützung für die Regierung von Präsident Obama aus.

"Schafft asphaltierte Straßen und die Feuerwehr ab - sie bedeuten Sozialismus!", schrieb einer. "Ihr wollt eine kleine Regierung? Somalia soll im Sommer sehr schön sein" ein anderer. "Ich will mein Land nicht zurück - ich will, das es vorangeht", war in Anspielung auf den Tea-Party-Slogan "Take our country back" gleich mehrfach zu lesen. Und einer schrieb: "Glenn Beck hat meine Eltern gehirngewaschen - ich will sie wiederhaben".

Eine junge Frau drückte ihren Ärger über Obamas Partei so aus: "Mütter von Demokraten: Gebt euren Kindern mehr Milch, das stärkt das Rückgrat". Andere griffen die Ängste vor dem Islam oder vor überhaupt allem Unbekannten auf. "Schwule mexikanische Muslime für die Legalisierung von Marihuana", hatte einer auf sein oft fotografiertes Schild geschrieben, und etliche waren mit angeklebten Mullahbärten erschienen. Auf der Bühne hatte Yussuf Islam, früher bekannt als Cat Stevens, einen Gastauftritt mit "Peace Train" - unterbrochen von Stephen Colbert in seiner Rolle des Konservativen, der dann Ozzy Osborne mit "Crazy Train" auf die Bühne holte. Am Schluss sangen alle gemeinsam.

So war die Kundgebung eine Mischung aus Happening und politischen Inhalten jenseits der Parteipolitik, und das war wohl auch das, was die meisten wollten. Und sie wollten sich mitten in der US-amerikanischen Gesellschaft verorten - mit Nationalhymne am Anfang und "God bless America" am Schluss. Nach drei Stunden versuchten viele der jungen Leute, trotz völlig überfordertem U-Bahn-System in der Washingtoner Innenstadt allmählich zu den Halloween-Partys weiterzuziehen.

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