Mobilität II: Das Fahrrad für zwölf Riesen

Ein Berliner Tüftler möchte mit einem neuartigen, schnellen Zweirad die Fortbewegung revolutionieren. Genialität oder Größenwahn?

Gegenwind, Kind und Regen: Mit Motor wär es leichter Bild: dapd

An der roten Ampel hält Stefan Gulas mit seinem Zweirad auf der Überholspur. Der Opel-Fahrer neben ihm schüttelt grimmig den Kopf. Als die Ampel auf Grün schaltet, tritt Gulas kräftig in die Pedale. Er zieht lautlos davon und hängt seinen Nebenmann in Nullkommanix ab. An der nächsten roten Ampel holt der Opel das rasende Gefährt wieder ein. Diesmal kurbelt der Rentner die Scheibe runter und fragt: "Was ist das denn für ein geiles Teil?"

Das "geile Teil" hat Gulas selbst gebaut. Er nennt es "eRockit". Es hat einen ganz normalen Sattel, Pedale und zwei Bremsen. Nur das Nummernschild am hinteren Schutzblech will nicht recht ins Bild passen. Nummernschild ist Pflicht, denn dank Elektromotor und starkem Akku fährt das Zweirad fast doppelt so schnell wie ein Elektrofahrrad - 80 Stundenkilometer. Nach 60 bis 80 Kilometern ist der Akku leer. An einer normalen Steckdose kann er wieder aufgeladen werden. Gulas ist sich sicher, dass bald jeder sein eRockit haben will, dass es die menschliche Fortbewegung revolutionieren wird. Global, versteht sich.

Der Ort, an dem die Revolution beginnen soll, ist gut versteckt, in einem Gewerbegebiet in Marzahn. Hier soll das Zweirad im nächsten Jahr mit 250 Stück in Serie gehen. Doch ein Firmenschild sucht man vergeblich. Eine der zwölf Angestellten der eRockit GmbH muss aus der riesigen Gewerbehalle herauskommen und den Weg zum Chef weisen.

Eigentlich wollte sich der 40-jährige gelernte Bergbauingenieur nur ein Elektrofahrrad kaufen. Doch er fand keines, das ihm gefiel. Die "Gurken" waren ihm zu langsam. Also begann er 2004 an einer eigenen Kreation zu tüfteln. Zu dieser Zeit arbeitete er noch als Marketingberater für die Telekom. Als er mit den ersten Prototypen an der Ampel Autos abhängte, war er so überzeugt von seiner Erfindung, dass er den Job hinschmiss und die eRockit GmbH gründete. Einen Investor brauchte er nach eigenen Angaben nie. "Meine Familie und ich haben das selbst finanziert." Kostenpunkt bislang: rund 2 Millionen Euro.

Was am Ende herauskam, war kein Elektrofahrrad, sondern streng genommen ein elektrobetriebenes Motorrad mit Pedalen. "Bei Elektrofahrrädern wird der Antrieb direkt durch das Treten unterstützt. Doch das ist völlig ineffizient", erklärt der Tüftler. "Entweder tritt man zu schnell gegen den Generator oder man kommt nicht hinterher." Um höhere Geschwindigkeiten zu ermöglichen, sind die Pedale beim eRockit nicht direkt mit dem Hinterrad verbunden. Die Elektronik erkennt, wie stark der Fahrer in die Pedale tritt, und leitet den Impuls an einen Generator weiter. Technisch wären die Pedale gar nicht notwendig gewesen. Gulas hätte stattdessen auch einen Gaszug anbauen können. Doch er wollte, dass man beim eRockit wie beim Fahrrad in die Pedale treten muss, um nicht auszurollen. "Die Leute wollen das so", sagt er.

Für Gulas ist seine Erfindung eine Welt-Innovation. Er glaubt, dass er eine ganz neue Fahrzeugklasse definiert: den "Mensch-Maschinen-Hybrid". "Das Interface, also die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine ist beim Motorrad immer gleich geblieben. Wir ändern das jetzt mit den Pedalen." Eine Revolution der Fortbewegung, weil man einen starken und sehr teuren Akku an ein Zweirad schraubt?

Andreas Manthey, Experte für Elektromobilität beim Berliner Institut für innovative Energie- und Antriebstechnologien, ist skeptisch. "Es ist nichts wirklich Neues, außer dass es schneller fährt. In Deutschland gibt es bereits einen großen Markt für Elektrofahrräder. Mehr als eine Million wurden schon verkauft."

Doch Gulas hat sich schon Gedanken gemacht, wie es weitergeht, wenn sein Rad zur Massenware geworden ist - wovon er selbstverständlich ausgeht. "Andere Firmen werden das eRockit kopieren und vielleicht billiger anbieten. Wir sind dann sicher einige Schritte voraus", sagt er siegessicher. "Wir werden einen Bonus haben, weil wir die Ersten waren, so wie einst Mercedes. Die werden ja auch gekauft, auch wenn sie teurer als der Rest sind." Ein Schnäppchen ist das eRockit wirklich nicht. 12.460 Euro soll es kosten. Aber sich selbst kann er schon mal gut verkaufen, der Stefan Gulas aus Österreich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.