Gefahrengut: Immer mehr Atomtransporte
Hamburger Linke legt Zahlen über "dramatischen Anstieg" vor. Bremer Linke verlangt Sperrung des Hafens für strahlende Fracht. Hamburgs GAL hält das für unmöglich. Bericht über verstärkte Kontrollen steht aus.
Immer mehr strahlende Frachten fahren quer durch Hamburg und Bremen. Nach einer Aufstellung der Hamburger Linkspartei, die auf offiziellen Senatszahlen beruht, hat sich die Zahl der Gefahrenguttransporte mit radioaktivem Material in den vergangenen Jahren stark erhöht. Hamburg ist immer mehr "eine Drehscheibe des Handels mit spaltbaren Produkten" geworden. Ähnliches gilt für Bremen.
Allein die Zahl der Brennstofftransporte für Atomkraftwerke über den Hamburger Hafen habe sich in den vergangenen fünf Jahren fast vervierfacht: von 36 im Jahr 2005 auf 136 im vergangenen Jahr. Erhöht hat sich nach Angaben der Linken auch die Zahl der sonstigen radioaktiven Frachten, die über den Hafen verschifft werden oder hier anlanden: In den vergangenen zwölf Monaten waren es rund 100.
Nicht mitgezählt bei den insgesamt 232 "Atomtransporten" in den vergangenen zwölf Monaten, sind die Frachten, die sich nur über Straßen bewegt haben, nicht aber den Hafen ansteuerten. Daher geht die Fraktionschefin der Linken, Dora Heyenn, von insgesamt 350 bis 500 Atomtransporten im Jahr durch Hamburg aus. "Wir wissen, dass viele dieser Transporte nur in einer Entfernung von 30 Metern an Wohnhäusern vorbeigeführt werden", sagt Heyenn.
Durch Hamburg und Bremen sind in den vergangenen Jahren immer mehr Transporte mit radioaktivem Material gerollt:
Kernbrennstoffe: Die Zahl stieg in Hamburg von 36 im Jahr 2005 über 71, 93 und 113 auf 136 im vergangenen Jahr. Von August 2009 bis 2010 waren es 132. In Bremen wuchs die Zahl von 22 in 2006 über 60 und 90 auf 91 im Jahr 2009.
Sonstige radioaktive Stoffe: In Hamburg gab es in den vergangenen zwölf Monaten rund 100 Transporte.
Die Häfen spielen bei den Transporten eine entscheidende Rolle.
Genaueres wollten die Linke, aber auch die Regierungsfraktionen CDU und GAL bereits im März vom Senat erfahren. Sie forderten den Senat auf, die durch Hamburg laufenden Atomtransporte stärker zu kontrollieren und darüber bis zum 30. Oktober zu berichten. Doch der Bericht liegt noch immer nicht vor.
Dass der Senat seine Berichtspflichten nicht erfülle sei eine "Missachtung des Parlaments", kritisiert Heyenn. Senatssprecherin Kristin Breuer beschwichtigt, der Bericht sei bereits erstellt, sitze aber noch "in der behördeninternen Abstimmung" fest. Eine zeitnahe Veröffentlichung sei geplant. Heyenn sieht in der Verzögerung Methode. Sie unterstellt, dass der Senat vor den geplanten Castor-Transporten nach Gorleben mit dem Bericht nicht an die Öffentlichkeit gehe, um die Atomgegner nicht weiter zu munitionieren.
Der GAL wirft die Fraktionschefin vor, dass diese sich im Vorfeld der Gorleben-Transporte zwar als Speerspitze des anti-atomaren Protests geriere, aber nichts gegen die zunehmenden Atomtransporte durch die Hansestadt unternehme. "Die GAL kann nicht mit der Atompartei CDU regieren und gleichzeitig mit der Anti-Atombewegung Widerstand leisten", findet Norbert Hackbusch, der Fraktionsvize der Linkspartei.
"Die Linke weiß haargenau, dass Hamburg wenig tun kann", kontert GAL-Pressesprecher Jan Dube. Lösungen wie etwa in Lübeck seien geprüft worden, aber in Hamburg so nicht umsetzbar. Im gleichen Sinne hatte die Bremer Wirtschaftsbehörde verlauten lassen, sie habe eine andere Rechtsauffassung als die Lübecker. Dort wie in Wilhelmshaven ist der Hafen auf Beschluss der Bürgerschaft für radioaktive Stoffe teilentwidmet worden. Ein Umschlag ist damit unmöglich.
GAL-Sprecher Dube argumentiert, das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) bestimme bedauerlicherweise, über welche Strecken und Häfen das radioaktive Material transportiert werde. Die schwarz-grüne Koalition habe sich daher auf intensive Kontrollen verlegt.
Allerdings prüft das BfS nach seiner Selbstdarstellung nur, ob die Sicherheitskriterien nach dem Atomgesetz und für gefährliche Güter eingehalten werden. Darüber hinaus könnten "andere Gründe gegen einen beantragten Transport sprechen".
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