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Popkulturarbeit im InternetWebstream kills the radio star

Selbstverwirklichung gegen Selbstausbeutung: Die Grundformel der Prekaritätsökonomie gilt für professionelle Radiomacher und Musikjournalisten auch im Netz.

Von gestern? Ja. Aber mit Spaß dabei: Schallplatte. Bild: reuters

Reden wir über Personen und über die Economy, stupid, ohne gehts nicht. Zu Beginn dieser Debatte über die Zukunft der Musikkritik hat Wolfgang Frömberg gefragt, "ob die Möglichkeiten der Popkritik zur Intervention schon immer überschätzt waren und diese Selbstüberschätzung zum Programm gehört."

Frömberg hat auch in eigener Sache interveniert, ist er doch ein Opfer der Neupositionierung des ehemaligen Popkritik-Leitmediums Spex nach dem Umzug von Köln nach Berlin - Frömberg erzählt die Geschichte in seinem Debütroman "Spucke". Zum Leitmedium konnte Spex in den Achtzigern werden, weil es einsam war auf dem Markt und weil hier Autoren schrieben, "die im Feuilleton niemals hätten schreiben dürfen, weil sie zu unorthodox an die Sache herangingen." Die Zeiten sind vorbei.

Inzwischen qualifiziert man sich mit unorthodoxem Schreiben für orthodoxe Festanstellungen auch im Feuilleton. Tobias Rapp etwa hat über Jahre in taz und Jungle World für wenig Geld kluge Texte über interessante Themen geschrieben, mit denen er sich für eine Stelle beim Spiegel qualifiziert hat, wo er jetzt für viel Geld weniger interessante Texte über weniger interessante Themen schreibt. Ähnlich erging es Thomas Groß, seinem Vorgänger bei der taz, der bei der Zeit einen langen, gut dotierten Vorruhestand absitzt. Das nennt man Marktwirtschaft.

Zu den Besonderheiten der digitalen Marktwirtschaft gehört der Umstand, dass immer mehr qualifizierte Popkulturarbeit im Internet stattfindet - für immer weniger Geld. Das Internetradio ByteFM - um in eigener Sache zu reden, ich arbeite da für wenig Geld - hat 2009 den Grimme Online Award bekommen. In der Begründung erinnert die Jury an alte Zeiten, "… bevor der kommerzielle Umbruch der Radiosender den geschmacksbildenden Radio-DJ durch den chartgesteuerten Computer ersetzte.

Dass erst ein neues Medium genau das auferstehen lässt, was viele mit Wehmut an die früher vor dem alten Medium verbrachten Stunden zurückdenken lässt, mag Ironie des Schicksals sein. Doch ist ByteFM kein verklärter Blick in die Vergangenheit, sondern eine von Musikliebhabern für Musikliebhaber gestaltete Plattform."

Die niedlichen "Musikliebhaber" sind zum großen Teil Musikjournalisten und Radiomacher mit viel Erfahrung bei öffentlich-rechtlichen Sendern. Deren qualifizierte popkulturelle Arbeit ist im Zuge des nun schon zwei Jahrzehnte andauernden "kommerziellen Umbruchs" immer weniger gefragt.

Mit dem Siegeszug des kommerziellen Privatradios, der übrigens mit der Wiedervereinigung Deutschlands zusammenfällt, hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk von der Popkritik weitestgehend verabschiedet - bis auf ruhmreiche Ausnahmen wie der Zündfunk beim Bayerischen Rundfunk. Entsprechende Sendungen wurden abgeschafft oder auf nächtliche Sendeplätze verschoben. Also reamateurisieren sich Popkritik-Profis zwangsfreiwillig und senden unter Praktikantenbedingungen bei einem Internetradio wie ByteFM. Selbstverwirklichung gegen Selbstausbeutung - die Grundformel der Prekaritätsökonomie.

Was die Grimme-Jury in ihrer Eloge verschweigt: dass die possierlichen "Musikliebhaber" sich nicht bloß selbst ausbeuten, sondern dass sie unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen sämtliche Qualitätsstandards unterschreiten müssen, die bei öffentlich-rechtlichen Programmen üblich sind.

Bei ByteFM läuft seit einigen Monaten der Versuch, ein halbwegs aktuelles tägliches Popkulturmagazin von zwei Stunden zu produzieren. Von dem Geld, das in diese zwei Stunden fließt, könnte ein Radiofeuilleton wie Deutschlandradio Kultur ungefähr zwei Minuten senden.

Dass die Produkte dieser digitalen Mangelökonomie für Popinteressierte trotzdem oft attraktiver sind als die wohlausgestatteten Feuilletons der Öffentlich-Rechtlichen, liegt auch an den ausgeprägten Egos der Radio-DJs. Für Autoren-Radio-DJs der John-Peel-Schule gehört egozentrische Selbstüberschätzung zur Grundausstattung, ich weiß, wovon ich rede. Das kann nerven, kann bezaubern, aber es polarisiert.

Wie im Printjournalismus der Spex-Blütezeit funktioniert die Kommunikation beim Autoren-DJ-Radio, um im Beraterslang zu reden: top down. Einer spricht, der Rest hört zu. John Peel sagt, Death-Dubstep aus Usbekistan ist der heiße Scheiß, und alle kaufen Death-Dubstep aus Usbekistan. Das ist unwiederbringlich vorbei.

Ein langjähriger Hörer mailt exemplarisch an uns: "ByteFM ist ein Segen und ein Fluch. So viel tolle Musik und Informationen, aber man kann nicht mehr alles verarbeiten. Vielleicht sollte man doch eine Sendung schaffen, die alle zwei Wochen das Ganze, was passiert, zusammenfasst."

Das Ganze, klar, ist das Unwahre und das Ganze kann niemand zusammenfassen. Daraus aber den Schluss zu ziehen, das ganze Popkulturzeug über Bord zu werfen, wie die öffentlich-rechtlichen Radios das tun, und zu sehen, wie es sich im weiten Meer des Internets verflüchtigt, das ist ein medienpolitischer Skandal.

Frömberg zitiert Diedrich Diederichsens Plädoyer "für einen Kompromiss mit der Kulturindustrie: gut bezahlte, lange Texte, die mit fundierten Reflexionen intervenieren". Dieser Appell dürfte der Kulturindustrie am Arsch vorbeigehen. Appelliert werden muss dennoch.

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