Kommentar Castor-Proteste: Die Chaoten sitzen in Berlin
Die Castor-Gegner haben die Öffentlichkeit überzeugt, ihre Gegner hingegen haben sich blamiert. Die Glaubwürdigkeit von Umweltminister Röttgen ist in Frage gestellt.
M it ihrem Protest gegen den Castor-Transport nach Gorleben haben die Atomkraftgegner einen klaren Punktsieg gegen die Regierung erzielt. Die massenhafte Beteiligung an der Demonstration und den Blockaden zeigt, dass die schnell durchgedrückte Entscheidung über die Laufzeitverlängerung nicht zu Resignation, sondern zu verstärktem Engagement geführt hat. Mit beeindruckenden Szenen von entschlossenem, friedlichem Protest unter widrigen Bedingungen konnten die Atomkraftgegner überdies den Kampf der Bilder für sich entscheiden. Deutlich wurde, dass hier Menschen aus allen Schichten unter großem persönlichem Einsatz gegen eine unverantwortliche Politik auf die Straße gingen. Der Versuch, sie als gewalttätige Chaoten zu denunzieren, ist gescheitert.
Die Castor-Gegner konnten die Öffentlichkeit aber auch deshalb überzeugen, weil sich ihre Gegner so blamiert haben. Umweltminister Norbert Röttgen redet zwar gerne von Transparenz und Dialog - doch bei der Erkundung von Gorleben blieb die Öffentlichkeit außen vor, und im Wendland ließ sich der Minister noch kein einziges Mal blicken. Auch den Widerspruch, ein "ergebnisoffenes Verfahren" zu versprechen, aber nur einen einzigen Standort zu untersuchen, vermag er nicht aufzulösen.
Besonders eklatant zeigt sich die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln bei seinem Vorstoß, hochradioaktiven Atommüll aus Deutschland nach Russland zu schicken. Von "sicherer Endlagerung" und "nationaler Verantwortung" für den Atommüll zu reden und gleichzeitig alte Brennelemente in einen skandalträchtigen Atomkomplex am Ural schicken zu wollen, nimmt Röttgen die letzte Glaubwürdigkeit.
Malte Kreutzfeldt leitet das taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt. Er hat die Proteste gegen den 12. Castor-Transport im Wendland über den gesamten Zeitraum vor Ort verfolgt.
Es ist zwar nicht zu erwarten, dass die Regierungskoalition ihre umstrittene AKW-Laufzeitverlängerung aufgrund der Proteste im Wendland zurücknimmt. Aber die Chancen sind gestiegen, dass sich ihre eigene Laufzeit dadurch verkürzt hat.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen