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Ex-No-Angels Sängerin Benaissa„Ich war ein wildes Kind“

Nadja Benaissa war Sängerin der No Angels. Dann wurde sie als HIV-positiv zwangsgeoutet und verurteilt. Nun erfindet sie sich neu – und spricht über ihre Jugend.

"Der Gerichtssaal war ein gläserner Käfig", sagt Nadja Benaissa heute. Bild: dpa

Nadja Benaissa, ehemals Sängerin bei den No Angels, hat aufgeräumt in ihrem Leben. So sehr aufgeräumt, dass sie erst jetzt sie selbst sein kann. „Ja, das bin ich“, sagt sie jetzt im sonntaz-Gespräch. Denn obwohl sie sich nie selbst als HIV-positiv geoutet hätte, sondern gegen ihren Willen von der Staatsanwaltschaft Darmstadt geoutet wurde, sei die Angst nun weg. Die Angst vor dem, was kommt. Plötzlich kann sie selbst bestimmen, wie sich ihr Leben gestaltet. Als Drogensüchtige oder No-Angels Mitglied konnte sie das nicht.

Ihr erster Schritt ins selbständige Leben: Benaissa ist nach Berlin gezogen und will eine Karriere als Solosängerin beginnen. Ihr neuester Coup: Sie wird Lieder von Rio Reiser singen. „Reisers Texte, Melodien und seine Stimme bewegen mich sehr“, sagt Benaissa. „Ich denke uns verbinden dunkle Geheimnisse und Erfahrungen.“

Lange ist Benaissa auf der Überholspur des Lebens gefahren, zu schnell, ohne zu merken, dass sie in einer Sackgasse landet. „Es stimmt, ich habe mich bisher von einer Katastrophe in die nächste gelenkt“, sagt sie in der sonntaz. Als Teenager war sie cracksüchtig und auf Trebe. Mit 16 Jahren, während der Drogenzeit, wurden sie zudem schwanger. Und in der Schwangerschaft wurde festgestellt, dass sie HIV-positiv ist. Das Kind, ein Mädchen, das sie zur Welt bringt, rettet ihr, meint sie, das Leben. Nur durch die Kleine sei sie von der Sucht weg gekommen.

taz

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Zwei Jahre taktet sie sich wieder ins eher normale Leben ein, macht die Schule nach, spielt in einer Rockband, dann wird sie als Sängerin für die No Angels gecastet. Das ist der Startschuss, um erneut von Null auf Hundert zu beschleunigen. Denn innerhalb von kaum drei Monaten wird sie zu einem Star aufgebaut zusammen mit den anderen No Angels-Sängerinnen. Auf ihren Terminkalender hat die damals 19-Jährige keinen Einfluss mehr.

Aber Benaissa ist verwundbar. Ihre HIV-Infektion ist ein Geheimnis, das als Gerücht bald die Runde macht. Zumindest bei der Boulevardpresse. Nicht immer dagegen bei ihren Liebhabern. Einer klagt sie im Jahr 2009 an, mit ihr ungeschützten Sex gehabt zu haben, ohne ihm von ihrer Infektion zu berichten. Er habe sich bei ihr infiziert. Jetzt tritt die Staatsanwaltschaft Darmstadt auf den Plan, verhaftet Benaissa an Ostern 2009, hält sie zehn Tage in Untersuchungshaft und macht ihre HIV-Infektion öffentlich.

Bei der Gerichtsverhandlung in Darmstadt im Sommer 2010 sehen die Richter den Straftatbestand als erwiesen an. Nadja Benaissa wird wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren auf Bewährung und 300 Stunden sozialer Arbeit verurteilt. „Der Prozess war eine meiner härtesten Erfahrungen“, sagt sie. „Der Gerichtssaal war ein gläserner Käfig. Ich sitze drin und alle gucken zu.“

Im Prozess wird Benaissas Sexualleben öffentlich ausgebreitet. Was kaum zur Sprache kommt: Ihr harter Kampf um ihre Identität. Benaissa wurde in eine trikulturelle Familie hineingeboren. Ihr Vater ist marokkanischer Herkunft, ihre Mutter ist serbisch-jugoslawisch-deutsch.

Im sonntaz-Gespräch erzählt Benaissa, wie schwierig ihr Leben wurde, als sie in die Pubertät kam. Denn plötzlich verstehen weder sie noch ihr Vater mehr, was passiert: Als Benaissa sich vom Mädchen zur Frau entwickelt, klappt die Kulturfalle zu. „Ich war als Kind total auf meinen Papa fixiert. Und er auf mich. Aber meine Entwicklung in der Pubertät hat ihn überfordert.“

Wie genau die Auseinandersetzungen mit ihrem Vater verliefen, wie Nadja Benaissa mit der Schuldfrage umgeht und wie sie mit ihrer HIV-Infektion lebt, erzählt die Sängerin in der aktuellen sonntaz. Vor dem Welt-Aids-Tag lesen Sie dort auch eine Reportage aus dem Dorf in Uganda, in dem die Aids-Epidemie vor 28 Jahren ausbrach.

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7 Kommentare

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  • MM
    mit Majo

    Liebe TAZ, es reicht jetzt mit rührseeligen Artikeln über diese Dame. Sie ist eine verurteilte Kriminelle. Sie hat ihre Bewährungsstrafe und gut ists.

  • B
    Bine

    "Denn obwohl sie sich nie selbst als HIV-positiv geoutet hätte, sondern gegen ihren Willen von der Staatsanwaltschaft Darmstadt geoutet wurde"

     

    Oh, böse, böse Staatsanwaltschaft. Hätte Nadia Benaissi vielleicht vorm Sex mal nachdenken müssen? Nein! Hier liegt offensichtlich sexistisches, rassistisches Verhalten der deutschen Behörden vor, dass sie die arme Frau dazu zwingen, im Gerichtssaal über ihr Sexualleben auszusagen.

     

    Was Waltraud Schwab da seit Monaten veranstaltet, spottet jeder neutralen Berichterstattung. Sie fühlt sich mit ihrer Schutznahme vermutlich als Feministin, das Gegenteil ist der Fall: Wer so dermaßen dumm und plump die Opferrolle bedient, erweist der Sache der Frau einen Bärendienst.

  • ???

    mit ihren intimen bekenntnissen macht nadja benaissa sie noch angreifbarer. was haben die in der öffentlichkeit zu suchen? sollte die junge frau da nicht lieber vor sich selbst geschützt werden indem auf eine journalistische verwurstung ihrer lebensbeichte verzichtet wird? handelt es sich hintergründig um den versuch, einen neuen karriere-start anzuschieben? hat sie keine verantwortungsbewussten medien-beraterInnen?

  • A
    arribert

    Ich habe ja nichts dagegen auch die Hintergründe zu beleuchten, aber auch wenn jemand einen trikulturellen Hintergrund hat oder vom Mars kommt, kann er/sie nicht andere Leute mit HIV anstecken. Das hat doch nichts mit einem Kampf um die eigene Identität zu tun, hier liegt vielleicht der Grund dafür, dass sie sich mit HIV angesteckt hat, aber da sie ja wohl schon länger davon wußte halte ich es für falsch den familiären Background da ins Spiel zu bringen. Was eine Lümmeltüte ist, weiß man auch mit serbisch-deutsch-marokkanischen Wurzeln.

  • G
    gelderlander

    Was ich in diesem Zusammenhang viel schlimmer finde:

     

    Anscheinend ist es von Vorteil, "Star" zu sein. Denn leider ist es so, das jeder Homosexuelle HIV-Positive Mann, der seinen Sexpartner fahrlässig mit HIV infiziert, weil sein Sexpartner eben auf Bareback besteht, bisher zu Haftstrafen verurteilt wurde.

     

    Eigenartiges Rechtsverständins.

     

    http://www.queer.de/detail.php?article_id=12645

  • L
    Lars

    Meiner Meinung nach ist das Wort "zwangsgeoutet" in der Überschrift eine empörende Verdrehung der Tatsache. Jemand der wissentlich einen Mitmenschen mit HIV ansteckt (oder in diese Gefahr begibt) muss damit rechnen "geoutet" zu werden. Ihr Opfer wurde auch "zwangsgeoutet", aber das wird nicht erwähnt. Stadtdessen wird darf sie jetzt gewinnbringend ihre Kindheid ausschlachten. Vielen Dank liebe Taz

  • T
    TiloS.

    Natürlich wurde sie zwangsgeoutet. So wie jemand, der einem anderen auf die Fresse haut, eben auch als Körperverletzer zwangsgeoutet wird. Oder als Steuerbetrüger, Autodieb. Sie hat eine Straftat begangen und wird dementsprechend behandelt.Vor dem Gestz sind nunmal alle gleich.

     

    Warum fährt denn die taz seit Monaten so eine Kampagne? Weil sie ne Frau ist??? Weil sie dunkelhäutig is??? Weil sie Muslimin is?? Wer es andersrum gewesen, wär die taz die erste, die den deutschen, weißen Mann angreifen würde.