Geschichte in Computerspielen: Aus Fakten wird Fiktion - manchmal
Handel, Kriege und Intrigen: Geschichte ist ein beliebtes Sujet in Computerspielen. Wie sehr die virtuelle Historie der echten entspricht, fragt eine Studie der Universität Siegen.
Geschichte im Computerspiel bedeutet Krieg. Wer sich Spiele mit historischem Inhalt ansieht, entdeckt zunächst vor allem eins: Schlachten. "Aber Computerspiele können mehr - auch mehr Geschichte", sagt die Historikerin Angela Schwarz von der Universität Siegen. Sie hat mit anderen Forschern untersucht, wie die Vergangenheit für den PC-Bildschirm aufbereitet wird. Ein Gespür und Interesse für geschichtliche Zusammenhänge könnten viele Spiele vermitteln, sagt Schwarz, weniger das umfangreiche und exakte Wissen aus der Schule.
"Wollten Sie auch schon immer einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen? Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel", so heißt das Buch zur Studie. Der Titel geht auf eine Mittelaltersimulation zurück, bei der feindliche Burgen per Katapult nicht nur mit Steinen, sondern auch mit an Pest verendeten Rindviechern zu Schrott geschossen werden dürfen.
Virtuelle Geschichte liegt im Trend. In den letzten fünf Jahren erschienen in dem Segment weltweit jährlich über 100 Neuerscheinungen. Mehr als 1.700 Spiele aus knapp 30 Jahren Computerspielgeschichte haben die Wissenschaftler gesammelt und in einer Datenbank verwaltet. Darin werden Heere befehligt, die Industrialisierung in Gang gebracht, mittelalterliche Städte mit Waren versorgt und im Schützengraben gekämpft.
Was fasziniert am Zeitvertreib in vergangenen Epochen? Manche Menschen entspannt es, in eine idealisierte Vergangenheit abzutauchen, während historisch Interessierte die Geschichte verändern und "Was wäre, wenn"-Szenarien ausprobieren. Spiele ermöglichen Erfahrungen, die der Alltag nicht bietet: mit großen Persönlichkeiten wie Kleopatra oder Cäsar zu verhandeln und ein ganzes Volk anzuführen.
Christopher Schmitz ist Produzent von "Anno", einer der erfolgreichsten Spiele-Reihen aus Deutschland. Die Spieler bauen mittelalterliche Städte auf, treiben Handel und kurbeln die Wirtschaft an. Schmitz glaubt, dass historische Games unter anderem deshalb so beliebt sind, weil die Menschen dort Welten vorfinden, in denen sie sich schneller heimisch fühlen als beispielsweise in einem Science-Fiction-Epos. Selbst wenn das wahrgenommene Geschichtsbild nicht mit der echten Historie übereinstimmt.
Bislang nahmen die meisten Forscher pauschal an, dass Spiele ein lückenhaftes, einseitiges Bild vermitteln und um der Unterhaltung willen wahllos Fakten mit Fiktion vermischen. Dieses Vorurteil lässt sich laut Studie so nicht halten.
Viele Spiele betten durchaus historische Daten in ihre Rahmenhandlung ein, ob als lexikonartige Texte oder als Filmszenen. Manchmal sind allerdings auch alle Daten frei erfunden. Die meisten Spielentwickler begnügen sich damit, das Visuelle realistisch darzustellen, das dann aber auch ganz exakt. Ob der Griff des Bajonetts oder der Sattelknauf der Kavallerie: Viele Designer bilden jedes Detail originalgetreu nach.
Historiker sind laut Schwarz bei der Entstehung von Games zumeist nicht beteiligt. Das führe oft zu einem ungenauen Geschichtsbild, das zwar Realismus suggeriert, aber etwas Wichtiges außer Acht lässt: den Alltag der Menschen. "Nehmen wir eine U-Boot-Simulation, in der bis hin zur letzten Schraube alles korrekt nachgebildet ist. Ist das Geschichte? Nein", sagt Schwarz.
Ihr geht es auch um "Strukturen, übergeordnete Zusammenhänge und Handlungsspielräume. Um das Denken, Leben und Handeln der Menschen in der Vergangenheit". All diese Aspekte kommen der Historikerin oft zu kurz. Das Medium sei in seinen Möglichkeiten limitiert: Die Handlung müsse auf ein bestimmtes Ziel zusteuern, und der Spieler dürfe auf dem Weg dorthin nicht mit zu vielen für ihn nebensächlichen Informationen gelangweilt werden.
Dennoch sieht Schwarz auch hier Veränderungen. Generell hätten sich die Handlungsmöglichkeiten des Spielenden in den letzten Jahren stark erweitert. Weil die Rechner leistungsfähiger werden, lassen sich Spiele immer komplexer und lebendiger programmieren.
Der Spieler hat inzwischen mehr Optionen, die virtuellen Welten zu erkunden und in sie einzugreifen. Solche Produktionen würden schon heute "eine Ahnung der komplexen Prozesse, Strukturen und Interessen der damals lebenden Menschen vermitteln", sagt Schwarz. Dennoch könnten gerade Abenteuer- und Rollenspiele dieses Potenzial noch mehr nutzen.
Für "Anno"-Produzent Schmitz wecken die Spiele zumindest Interesse an der dargestellten Epoche, das zur weiteren Recherche animieren kann. Aber für ihn "kommt der Spielspaß immer vor der historischen Akkuratesse". Er will das Bild aufgreifen, das die Menschen vom Mittelalter besitzen, statt historische Fakten zu vermitteln.
Zwar haben auch die "Anno"-Entwickler für die Darstellung der Städte Bücher gewälzt und Experten befragt, aber die Fakten für ihr Spiel passend gemacht. So sind etwa die Bürgerhäuser aus dem Spiel in Wirklichkeit Rathäuser, die allerdings viel hübscher aussehen als das mittelalterliche Durchschnittsheim. Das sei okay, findet Schmitz, solange die Welt in sich glaubwürdig sei.
Was diese Glaubwürdigkeit ausmacht, sehen viele Spieler allerdings sehr unterschiedlich: Die einen wünschen sich eine idealisierte Mittelalterwelt, andere nehmen es mit den visuellen Details ganz genau. Vor allem die Fans der Weltkrieg-Shooter. Sieht hier eine Waffe anders aus, als man sie aus den TV-Dokumentationen kennt, hagelt es Beschwerden der Spieler.
"Bei den Weltkrieg-Shootern wird besonders viel Wert darauf gelegt, die Spielhandlung als Nachvollzug authentischen Kriegsgeschehens erscheinen zu lassen", sagt Historikerin Schwarz. Zwischen den Spielabschnitten tauchen Kommentare von Zeitzeugen auf, Filme im Stil der "Wochenschau" werden eingeblendet. Diese mediale Verknüpfung lässt das Geschehen noch unmittelbarer wirken.
Kriege spielen in Geschichtsgames eine große Rolle. Schließlich eignen sich existenzielle Konflikte und actionreiche Auseinandersetzungen besonders gut für das interaktive Medium, das von zu meisternden Herausforderungen lebt.
"Der Zweite Weltkrieg ist ein überschattendes Thema", sagt Schwarz. Knapp 29 Prozent aller Historienspiele handeln von diesem kurzen Abschnitt der mehrere tausend Jahre langen Menschheitsgeschichte. Für die Historikerin liegt das daran, dass dieses Thema in allen Medien präsent ist.
Weltkrieg-Shooter wie aus der Serie "Medal of Honor" stammen meist aus den USA. Schwarz sagt, die Amerikaner wendeten sich eben gern der für sie ruhmreichen Epoche zu.
Warum solche Spiele auch im zweifach besiegten Deutschland gut ankommen, wurde noch nicht wissenschaftlich untersucht. Deshalb äußern sich Wissenschaftler nicht oder nur vorsichtig zu dieser Frage. Dass es mit dem großen Interesse der Jugendlichen an den Geschehnissen der NS-Zeit zusammenhängt, halten Experten für unwahrscheinlich. Denn auf dem Bildschirm werden kaum Beweggründe und Gefühle dargestellt. Warum man für wen kämpft, ist in Spielen meist Nebensache. Was zählt, ist gewinnen.
Deshalb glaubt Angela Schwarz nicht, dass Spiele als Geschichtsunterricht taugen. Aber das Interesse wecken, mehr über die Vergangenheit herauszufinden, das könnten sie schon.
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