Kommentar Pisa: Schönes neues Zentralabitur
Es gäbe ein ganzes Paket von akut notwendigen Maßnahmen: Der Bund müsste gezielt in Ghettoschulen investieren - und mehr für Sprachförderung tun. Doch das wird blockiert.
K lar lässt sich darüber reden. Über eine Reform des Abiturs diskutieren Akademiker gern mit Inbrunst. Wie viel Wahlfreiheit solls da geben? Und ist es gerecht, dass man in Hamburg für ein Mathe-Abi 14 Punkte absahnt, für das man in den Südstaaten bestenfalls 9 Punkte bekäme?
Solche Fragen lassen das Bildungsbürgertum vor Freude quieken, weil es da um die eigenen Kinder geht. Schmuddelkindern aus migrantischen oder Hartz-IV-Familien bringen solche Debatten rein gar nichts. Denn mit einem Zentralabitur kann man Bildungsarmut nicht bekämpfen.
Es gäbe ein ganzes Paket von Maßnahmen, um die Produktion von Risikoschülern zu bremsen. Der Bund müsste gezielt in Ghettoschulen investieren. Nach dem Vorbild des sehr erfolgreichen Sinus-Mathematik-Projekts sollte er koordinierte Sprachprogramme wie FörMig (Förderunterricht für Migranten) auflegen. Allein solche Ideen werden blockiert. Und zwar von Ludwig Spaenle, der die Konferenz der Kultusminister leitet.
Christian Füller ist Bildungsredakteur der taz.
Spaenle holzt alles kurz und klein, was benachteiligten Schülern hilft. Überall, wo der Bund etwas für sie tun könnte, sagt der bayerische Gromyko Njet. Er stemmt sich dagegen, das Pisa-Problem an der Wurzel zu packen. Und nun verkauft er die Uralt-Idee eines Zentralabiturs als Antwort darauf.
Schon vor über hundert Jahren stritt sich die Nation darüber, ob nur das humanistische Gymnasium oder auch Oberrealschulen und Realgymnasien das Abitur vergeben dürften. Das halbe Land bebte, der Kaiser mischte sich ein. Damals ging es nur darum, ob 1 Prozent eines Jahrgangs das Abi bekommen oder 3 Prozent.
Heute sind wir ein bisschen weiter und wir reden nicht mehr über 3, sondern über 40 Prozent der Schüler. Und deren Anwalt ist kein Preuße mit Zwirbelbart mehr, sondern ein Münchener Lokalpolitiker, der zufällig Präsident der Kultusministerkonferenz ist. Die Benachteiligung von Zuwanderern und Kindern aus benachteiligten Schichten ist ihm offenbar egal.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen