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Djibril Bodian backt für Nicolas SarkozyBaguette mit Migrationshintergrund

Der französische Regierungschef Nicolas Sarkozy bekommt sein Brot vom Baguette-König von Paris. Er hat senegalesische Wurzeln und sieht seinen Kunden mit Gelassenheit.

Präsidentengeschmack und nationale Identität hin oder her: Baguettes sind eben Baguettes. Bild: imago/chromorange

PARIS taz | Um 2 Uhr nachts beginnt sein Tag. Dann setzt er den Teig an, knetet ihn mit seinen kräftigen Armen, langsam und kurz. Denn das gibt unregelmäßigere Luftporen, die der Kunde vorzieht und der Kenner wünscht. Der Teig muss dann ruhen, fermentieren, später wird er geteilt, wieder in Ruhe gelassen und schließlich in Form gebracht. Mit einer Klinge schneidet Djibril Bodians die Teigstangen mehrfach ein, dann ruhen sie weitere ein bis drei Stunden auf rot-weiß karierten Leinentücher in der Backstube.

In einem Land, in dem nur 30 Prozent des Brots industriell hergestellt werden, ist der Bäcker nach wie vor ein Nacht- und Schwerstarbeiter. Und Djibril Bodian ist der Meister seines Handwerks. Er ist der Baguettekönig von Paris, er hütet das preisgekrönte Rezept für das französische Nationalheiligtum. Er beliefert den Präsidenten, in seine Baguettes beißt Carla Bruni, obwohl man sich kaum vorstellen kann, dass die première dame figurfeindliche Kohlenhydrate verzehrt.

Seine Boulangerie befindet sich in der Rue des Abbesses am Fuße des Montmartre, nicht weit von der Kirche Saint Jean. Das Viertel zählt mit seinen gemütlichen Cafés, Restaurants und Geschäften zu den lebendigsten Straßen des beliebten Quartiers. Seit der gebürtige Senegalese den begehrten Titel "Bester Baguette-Bäcker von Paris" eingeheimst hat, stehen die Kunden Schlange vor dem Laden.

Die kommen nicht nur aus Frankreich: Seit seiner Auszeichnung reisen die Menschen von überall her, um von seinen Backwaren zu kosten. Besonders groß ist der Andrang auf dem Trottoir an Sonntagen, dann gehen mehr als 2.000 Baguettes über die Ladentheke. "Wir haben unseren Verkauf um bis zu 40 Prozent gesteigert", sagt Djibril Bodian. Seine langen, dunklen Haare trägt er zu kunstvollen Zöpfen geflochten mit bunten Steinen an den Spitzen wie der Fußballspieler Didier Drogba.

Die Meisterbaguettes vom Montmartre sind nicht zu hell und nicht zu dunkel. Die goldgelbe Kruste ist elastisch und knusprig zugleich, mit einer leicht säuerlichen Krume, die nach Weizen duftet. Während Billigbaguettes aus dem Supermarkt meist schon nach wenigen Stunden knochenhart und staubtrocken geworden sind, bewahren die Brote aus Djibril Bodians Backofen ihre Frische bis zum nächsten Morgen.

Brot für den Hardliner

Das Rezept für die preisgekrönten Brote stammt vom 34-jährigen Djibril Bodian selbst. Die Kriterien für diese Auszeichnung sind hart: 160 Pariser Baguettes wurden beim diesjährigen "Grand Prix" einer strengen Prüfung unterzogen. Bewertet werden der Geschmack, die Krume, der Geruch, das Aussehen und der Backstil. Die Jury ist streng.

Denn die meist älteren Herren in Weiß haben ein unerhörtes Privileg zu vergeben: Es geht nicht nur darum, wer das beste Baguette der Stadt backt. Es gibt nicht nur Urkunde und Pokal. Der Sieger darf ein Jahr lang den Elysée-Palast beliefern, seine Baguettes werden von Präsident Nicolas Sarkozy und seinem Gefolge verzehrt. Der Sarkozy, der wegen seiner Einwanderungspolitik kürzlich auf dem US-Newsweek-Cover als "Europas neuer Extremist" bezeichnet wurde, wird nun also von einem Senegalesen allmorgendlich verköstigt.

Bodian sieht das gelassen. "Sarkozy ist ein Kunde, den ich zufriedenstellen muss", sagt er. "Aber auch wenn ich nicht den Elysée beliefern würde, würde das keinen Unterschied machen. Ich würde meine Arbeit genauso machen, wie ich sie für meine Kunden jeden Tag mache."

Um dies besser zu verstehen, muss man sich vorstellen, ein Türke in Deutschland würde die besten Weißwürste des Landes machen, oder ein Russe das beste deutsche Bier brauen. Denn es geht hier nicht nur um ein paar Gramm Teig und wenige Zentimeter Brot: Das Baguette ist ein Symbol für ein ganzes Land und sein savoir vivre, steht für Frankreich wie einst die Baskenmütze, der Cidre und der Eifelturm. 82 Prozent der Franzosen behaupten, sich ein Leben ohne Baguette nicht vorstellen zu können, nicht darauf verzichten zu wollen, tagtäglich in die Boulangerie zu laufen und sich die Weißmehlstangen zu kaufen. Massenprodukte aus dem Supermarkt sind verpönt.

Vor 13 Jahren hat Djibril Bodian das Handwerk in Frankreich erlernt. Die besten Tricks brachte ihm Michel Galloyer bei, der ein florierendes Netz von Bäckereifilialen in ganz Frankreich betreibt. Hinzu kommt die familiäre Tradition des Senegalesen: "Mein Vater ist ebenfalls Bäcker, mein Bruder Konditor."

Dass in diesem Jahr einem Senegalesen die Ehre zuteil wird, Sarkozy zu beliefern, freut vor allem Kritiker der Debatte über eine nationale Identität der Franzosen, die von der Regierung initiiert wurde und in eine Auseinandersetzung über Immigranten mündete. Djibril Bodian kam mit seiner Familie nach Frankreich, als er sechs Jahre alt war. Mehr als 25 Jahre später bezeichnet er sich als "hundertprozentig französisch".

Keine Frage des Viertels

Dass gutes Brot in Paris keine Frage der besseren Wohngegend ist, beweist der ehemalige Preisträger Anis Bouabsa, der die Baguettekrone 2008 gewann. Seine Bäckerei liegt im geschäftigen 18. Arrondissement, wo die Mieten niedrig sind und viele Migranten leben. Frauen mit langen Röcken und Kopftüchern versuchen hier, den Passanten billige Ketten als Goldschmuck anzudrehen.

Hier, zwischen tristen Plattenbauten und einer Halal-Schlachterei, stehen in Anis Bouabsas Bäckerei zwei junge Frauen mit gelben Kitteln hinter der Theke, vor ihnen liegt Gebäck in der Auslage, hinter ihnen stehen mächtige Brotlaibe. Dekoriert ist das Geschäft mit allerlei Orientkitsch. Und mit den vielen Auszeichnungen, die Anis Bouabsa erhalten hat.

Der 30-Jährige ist 2004 im Alter von 24 Jahren von der französischen Bäckerinnung zum bisher jüngsten "Besten Handwerker" Frankreichs gekürt worden. Der Sohn tunesischer Einwanderer wollte aber mehr, er wollte das französischte Brot von Paris backen. 2006 kam sein Brot unter 156 eingereichten Proben auf Platz sieben, 2007 folgte Platz drei, 2008 schlug er alle anderen 142 Konkurrenten, auch die ganz feinen franko-französischen aus den Schickimicki-Vierteln. Danach war auch er ein Jahr lang ganz offiziell der beste Bäcker von Paris, auch er durfte damals Präsident Sarkozy mit seinen Brotstangen beliefern.

Die 1993 in Frankreich erlassene Backverordnung schreibt vor, dass das baguette de tradition vor Ort und aus nur vier Zutaten hergestellt werden muss: Mehl, Wasser, Salz und Hefe. An die hält sich Bouabsa, mehr will er über sein Baguetterezept aber nicht verraten. Nur so viel: "Ich nehme mir sehr viel Zeit beim Backen." Jedes Laib, jeder Keks, jeder Kuchen wird in seiner Backstube von Hand geformt.

Sarkozys Slogans leben

Um 3 Uhr in der Nacht beginnt für ihn die Arbeit, um 5.30 Uhr morgens öffnet sein Laden und bleibt dann 15 Stunden lang geöffnet, bis 20.30 Uhr. Es ist, als wolle der Franzose mit den tunesischen Wurzeln die Slogans des migrationspolitischen Hardliners Sarkozy vorleben. Anis Bouabsa ist "das Frankreich, das früh aufsteht und arbeitet bis spät in die Nacht", und er folgt auch der präsidialen Devise des "travailler plus pour gagner plus" - mehr arbeiten, um mehr zu verdienen. Der junge Mann lächelt nur bei der Frage, wie er Sarkozys durchgreifende Migrationspolitik finden. Soll heißen: Kein Kommentar.

Er zieht Bleche voller goldbrauner Baguettes aus dem Ofen. Vorsichtig nimmt er eine Stange in die Hand, dreht und wendet sie, riecht daran. "Sehr schön", sagt Anis Bouabsa, und ein zufriedenes Lächeln huscht über sein Gesicht. Ob sich sein Leben seit der Preisverleihung 2008 verändert habe? "Na ja", sagt er, "eigentlich nicht." Aber sein Grinsen verrät ihn.

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1 Kommentar

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  • S
    Swanni

    "Dass in diesem Jahr einem Senegalesen die Ehre zuteil wird, Sarkozy zu beliefern, ... Mehr als 25 Jahre später bezeichnet er sich als "hundertprozentig französisch". "

     

    Wieso wird der Mann als Senegalese bezeichnet, wenn er doch Franzose ist ? Ist das nicht irgendwie rassistisch ?