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SOZIALSTAATVoller Job und dennoch Stütze

Jeder vierter Bezieher von Hartz IV im Lande Bremen hat einen Job - aber einen, der ihn oder sie nicht aus der Sozialhilfe herausführt

Den ganzen Tag lächeln und trotzdem aufstocken müssen: In der Gastronomie verbreitet Bild: dpa

Rund 4.000 Menschen im Lande Bremen haben einen Vollzeit-Job und sind dennoch auf zusätzliche Sozialhilfe nach Hartz IV angewiesen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, die Peer Rosenthal von der Arbeitnehmerkammer auf der Grundlage von Zahlen der Bagis gemacht hat. Insgesamt geht jeder vierte Hartz-IV-Empfänger arbeiten. "Das widerlegt das Vorurteil, dass die Leistungsbezieher nicht arbeitswillig seien", sagt der Hauptgeschäftsführer der Kammer, Ingo Schierenbeck. Denn von ihrem Zuverdienst bleibt den Betroffenen nur wenig.

Die zweite Schlussfolgerung: Ein Mindestlohn von 8,50 Euro ist notwendig. Denn nur wenn eine alleinstehende Person bei einer 35-Stunden-Woche auf diesen Mindestlohn kommt, hat sie 1.265 Euro Brutto-Monatslohn und keinen Anspruch mehr auf ergänzende Sozialleistungen: Von diesem Lohn gehen rund 50 Euro Steuern ab sowie Sozialversicherungsbeiträge - im Schnitt bleiben 950 Euro Netto als Grenze für Alleinstehende, ab der Sozialleistungen beansprucht werden können.

Auch die These, dass die niedrigen Löhne oder auch Teilzeitjobs für Menschen, die länger arbeitslos sind, einen Einstieg bedeuten könnten in einen richtigen Job, wird von den Zahlen der Arbeitnehmerkammer nicht bestätigt: Für 56 Prozent der Menschen mit Vollzeit-Job, die ergänzende Sozialhilfe bekommen, dauert dieser Zustand schon mehr als zwei Jahre an.

Im Durchschnitt zahlen Bund und Kommunen 500 Euro im Monat "drauf" für jeden, der in seinem Job entweder nicht genug Lohn erhält oder zu wenig Stunden arbeiten kann, fast die Hälfte davon zahlen die Kommunen. Für Bremen und Bremerhaven sind das immerhin 35 Millionen Euro im Jahr - in vielen Fällen schlicht Lohn-Zuschüsse für Firmen, die zu wenig Lohn zahlen, sagt die Kammer. Wobei Bremen im Städtevergleich ganz weit oben steht: Bei den Großstädten, so der sozialpolitische Fachreferent Rosenthal, haben nur Berlin und Leipzig mehr "Aufstocker". Bremerhaven kommt bei den mittleren Großstädten direkt nach Rostock. In Süddeutschland wird deutlich öfter ein auskömmlicher Lohn gezahlt, dort gibt es deutlich weniger Aufstocker.

Branchen wie die Gastronomie kommen in der Statistik auf besonders viele prekären Jobs und entsprechend viele Aufstocker. Bei den Leiharbeitern sind es oft die zu geringen Stundenlöhne - Leiharbeiter bekommen nur selten gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

Schwierig ist auch der Bereich der Mini-Jobs. Wenn jemand 400 Euro dazu verdient, werden davon 240 Euro auf die Sozialleistungs-Ansprüche angerechnet, es bleiben also nur 160 Euro. Manche Betriebe stellen regelrecht von Teilzeit-Jobs auf Mini-Jobs um, um Lohnkosten zu sparen. Damit hier nicht das gesetzliche Angebot missbraucht werden kann, so Schierenbeck, müsste der Höchstsatz für Minijobs auf 200 Euro begrenzt werden und es müsste festgelegt werden, dass dafür nicht mehr als 15 Stunden Arbeit gefordert werden können.

Von den 18.000 "Aufstockern" im Land Bremen sind 8.560 Mini-Jobber, 2.900 Menschen haben einen Teilzeit-Job, 4.000 einen Vollzeit-Job und 1.400 sind "Selbstständige".

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