Italiens Shopper im Visier: Radikalkur mit Plastiktüten
Die Regierung in Rom verordnet Shoppern totale Tüten-Abstinenz. Die italienische Müllbilanz ist miserabel, beim Plastikbeutel-verbrauch war das Land europäische Spitze.
Das Schächtelchen mit dem Nasenspray ist nur ein paar Zentimeter hoch, doch ganz selbstverständlich packt die Apothekerin in Rom es in eine kleine Plastiktüte, ehe sie es über den Tresen reicht. Schließlich ist die Tüte immer dabei, wenn in Italien eingekauft wird - bisher jedenfalls.
Von hundert auf null: das ist die Radikalkur, die der italienische Staat zu Jahresbeginn seinen Bürgern verordnet hat. Eines der plastikbeutelsüchtigsten Länder Europas soll in Zukunft ganz ohne das umweltschädliche Zeug auskommen. Ob auf dem Markt oder sogar im Bio-Laden: die "busta di plastica" gab es bisher überall, immer und völlig gratis. Nur in den Supermarktketten waren 5 Cent pro Tüte fällig. Aus schierem Mitleid rückten die Kassiererinnen dann aber gleich zwei oder drei raus.
Mit einem Jahresverbrauch von 20 Milliarden Stück seien die Italiener bislang Spitzenreiter in Europa gewesen, bilanziert der Umweltverband Legambiente. Pro Kopf macht das runde 330 Tüten pro Jahr - Tüten, die einen Nutzungszyklus von "bloß einigen Stunden" haben, wie die Umweltschützer festhalten. In der Regel nämlich kommen die bunten Tüten höchstens noch ein zweites Mal zum Einsatz, wie sich bei jeder Müllkrise in Neapel schön besichtigen lässt: Die ganze Palette des italienischen Plastikbeutelangebotes stapelt sich, gefüllt mit stinkenden Abfällen, an den Straßenrändern.
Dumm nur, dass dem extrem kurzen Nutzungs- ein extrem langer Lebenszyklus gegenübersteht. Je nach Qualität dauert es hunderte von Jahren, bis das Plastik sich abgebaut hat. Doch mit der milliardenfachen Einbringung des Plastikmülls in die Umwelt ist es jetzt vorbei. Seit 1. Januar dürfen sämtliche Händler des Landes nur noch Papiertüten rausgeben - oder biologisch abbaubare Plastiktüten aus Maisstärke, die sich schnell in Kompost verwandeln.
Schon im Jahr 2009 hatte die damalige Mitte-links-Regierung unter Ministerpräsident Romano Prodi den Umstieg beschlossen und als Stichtag den 1. Januar 2010 festgesetzt. Doch letztes Jahr erreichten die Händler noch einmal einen Aufschub, und auch dieses Jahr probierten sie es wieder.
Diesmal aber blieb die Regierung Berlusconi hart. Geschäfte und Supermärkte dürfen zwar noch ihre Lagervorräte an traditionellen Plastiktüten aufbrauchen, dürfen dafür aber keine Bezahlung mehr verlangen. Schließlich, so heißt es in den Medien, schreibe "Europa" das Verbot vor.
Das Argument "Europa" zieht immer in Italien - auch wenn es gar nicht stimmt. Denn die zitierte EU-Richtlinie aus dem Jahr 1994 diktiert den Mitgliedsstaaten ganz allgemein, Verpackungsmüll zu reduzieren, mehr nicht.
Auf dem Feld der Müllreduzierung ebenso wie der Mülltrennung jedoch hinkt Italien hinterher. Von Rom an südwärts ist die Bilanz miserabel. 500 Kilo Hausmüll pro Kopf, die zum Großteil ungetrennt in der Deponie oder in den Müllverbrennungsanlagen landen: dies ist dort die Realität. Da erscheint das Verbot der Plastiktüten tatsächlich als ein sinnvoller Schritt.
Doch bei näherem Hinsehen ist die Neuregelung ein eher zweifelhafter Segen für die Umwelt: Die Ökobilanz der neuen Maisstärke-Tüten ist nämlich ihrerseits alles andere als positiv. Für ihre Herstellung werden Unmengen an Düngemitteln und Pestiziden freigesetzt, und der Energieaufwand ist enorm.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“