Konkurrenz der Nachrichtenagenturen: Öfter mal was Neues
Die größte deutsche Nachrichtenagentur DPA hat sich im Jahr 2010 neu erfunden. Das war auch nötig, die Konkurrenz ist angriffslustig. Vor allem der DAPD.
Besser hätte das Jahr 2010 für Wolfgang Büchner nicht ausklingen können. Noch im Dezember ist der 44-Jährige vom Medium Magazin zum Chefredakteur des Jahres gewählt worden - von "Maßstäben" ist da die Rede, weil er die Deutsche Presse-Agentur (dpa) auf Service getrimmt hat, seine Kunden mit Hinweisen für eigene Recherchen versorgt und ein Klima der Offenheit geschaffen hat, wie es der dpa noch vor einem Jahr niemand zugetraut hätte.
Vor allem aber wird es den gebürtigen Pfälzer und Fan des 1. FC Kaiserslautern gefreut haben, dass sich der Tagesspiegel pünktlich zur Bescherung dazu durchgerungen hat, allen Ankündigungen zum Trotz doch weiter dpa-Abonnent zu bleiben.
Büchner startet also mit einem enormen Anschub ins neue Jahr. Er wird ihn dringend brauchen. Und wenn er am Montag in seinen 2.200 Quadratmeter großen und sterilen Newsroom zurückkehrt, dann hat er bestenfalls auch noch einen Pelzmantel umhängen. Oder wenigstens eine der trendigen Outdoorjacken, die sie in Büchners neuem Berliner Kiez, Prenzlauer Berg, so gerne tragen, um mit aller Kraft irgendwie alternativ auszusehen. Für 2011 sollte sich der Chefredakteur von Deutschlands wichtigstem Nachrichten-Dienstleister jedenfalls warm anziehen. Und das auch über den harten Berliner Winter hinaus.
Als Büchner antrat, sah die Welt der News-Lieferanten hierzulande noch so aus: Seine dpa trat als die einzige Vollagentur auf. Wer ebenfalls Meldungen, Analysen, Reportagen und Fotos an Zeitungen, Sender und Onlinedienste lieferte, der verstand sich bloß als Ergänzung - seien es die hiesigen Ableger von Agence France-Presse (AFP) oder Associated Press (AP), der Deutsche Depeschendienst (ddp) oder Spartendienste für Wirtschaft, Kirche oder Sport.
Diese Konstellation brach allerdings mit Büchners Wechsel von der Spitze bei Spiegel Online zur dpa zusammen: Peter Löw und Martin Vorderwülbecke gesellten mit ihrem Vermögen das Angebot von AP-Deutschland zum ddp - und kündigten an, dpa "verzichtbar" machen zu wollen, als erste Alternative, die sowohl Berichte aus dem Ausland (AP) als auch aus der Fläche im Inland (ddp) bieten werde.
Seit September tritt die Fusion dieser bis zuletzt konkurrierenden Angebote als dapd am Markt auf, lautstark, wenn auch ohne einen ausgeschriebenen Namen. Cord Dreyer, einst selbst dpa-ler und nun beim dapd Chefredakteur und Geschäftsführer in Personalunion, rechnete gar vor: Die dpa-Alternative werde ein Viertel günstiger sein als das, was der Marktführer für seine Pakete verlange.
Büchner aber hatte 2010 enormes Glück, denn die Macher des dapd verspielten in erschreckender Konsequenz alle Chancen, die ihnen gegeben waren. Der Umgang der Anzugträgerflotte aus dem siebten Stock mit den eigenen Mitarbeitern, die im zweiten und dritten zu werkeln haben, war beispielsweise derart schlecht, dass immer mehr die Flucht ergriffen. Nach dem Motto "Rette sich, wer kann" liefen Agenturjournalisten erster Güte in die Hände der dpa.
Der Marktführer hatte pünktlich zu den Umbauten bei dapd in Berlin seine Redaktionen von Frankfurt und Hamburg an der Spree vereint - und damit Platz für Neulinge. Mit Froben Homburger und Peter Zschunke gingen die beiden AP-Vizes, mit Homburgers Frau Antje die Wirtschaftschefin. Auch ddp-Cheffotograf Michael Kappeler schießt seine Aufnahmen neuerdings unter dpa-Flagge. Sie alle sind äußerst schmerzhafte Verluste für den dapd, der auch daher 2010 in erster Linie vor allem mit sich selbst beschäftigt war.
Krisenstimmung herrschte auch bei der dapd-Basis. Der Betriebsrat sprach erst im vergangenen November in einer Mitarbeiterinfo von einem "fragwürdigen Umgangston" der Agenturleitung. Viele fühlten sich "offensichtlich mit den Anforderungen neuer Arbeitsabläufe und Instrumente immer noch allein gelassen". Neuerungen im Haus gingen "zulasten des redaktionellen Dienstes". "Bisweilen" leide sogar die Stringenz. Qualität hört sich anders an.
Der dapd bleibt damit ein Experiment, das nicht immer glückt. Mal meldete er im vergangenen Jahr falsch, dass das Schraubenimperium Würth in die Schweiz abwandern würde - und das als vermeintliche Exklusivmeldung. Eine freie Reporterin, die das in Teilen mit zu verantworten hatte, ließ der dapd fallen, statt sich an die eigene Nase zu fassen, weil nicht zuletzt die Kontrollen im Haus versagten. Die Journalistin aber hat gerade eine zweite Chance bekommen - ausgerechnet bei der dpa. Und dann setzte der dapd noch nach dem Terroranschlag in Stockholm über Nacht aus, weil er am Wochenenddienst sparte.
Besonders auffällig war wiederholt, mit welchem Vokabular der dapd um sich warf. Vieles davon landete inzwischen vor Gericht. Eine nächste Klage auf Unterlassung soll Ende März vor dem Landgericht Berlin verhandelt werden: Von "sittenwidrigen Verträgen" will die dpa nichts mehr hören. Längst ist auch bekannt, dass so mancher ruppiger Umgang mit Verlegern dem Geschäft nicht zuträglich ist: Axel-Springer-Chef Matthias Döpfner hat dafür gesorgt, dass seine Blätter bis hin zur Bild auf dapd-Material verzichten müssen. Läuft demnächst eine noch kostenlose Belieferung aus, ist Ende.
Das Problem an alledem ist jedoch: All das war 2010. Und sollte sich Büchners angriffslustiger Konkurrent 2011 - neues Jahr, neues Glück - mit unnötigen Sticheleien zurückhalten, seine Mitarbeiter ernst nehmen und für mehr Verlässlichkeit sorgen, dann könnte es der dpa eben doch schnell an den Kragen gehen.
Schon jetzt arbeitet der dapd daran, seine inhaltlichen Lücken zu schließen. Während ihm noch ein eigener Sportdienst fehlt, um mit dem Bunten und Kriminellen von Spielfeldern und aus Vereinsheimen punkten zu können, soll spätestens zu Ostern eine eigene Redaktion starten. Mit ihr kann der dapd dann tatsächlich als Alternative zur dpa antreten. Ohne Frage wird sich mit der Zeit auch ein eigenes Profil mit eigenen Stärken herausbilden. Auch das ist nur eine Frage der Zeit - und freilich des nötigen Geschicks.
Dass der dapd bei Auslandsberichten weitgehend nur Meldungen der US-Agentur AP übersetzt, die dpa aber gleich mehrere Hundert eigene Leute in der Welt hat (die größtenteils für die Weltdienste der dpa in Englisch, Spanisch und Arabisch arbeiten); dass der dapd Gefahr läuft, deshalb in die US-Sicht der Dinge abzurutschen; und auch, dass die dpa, weil als Genossenschaft von den Verlagen getragen, auf einem sichereren Fundament stehen dürfte als der dapd - all das ist im Zweifel völlig egal, sollte sich der dapd sammeln, Lücken schließen und weiter mit massiven Rabatten winken.
Viele Redaktionen müssen nämlich in erster Linie eines: sparen. Sei es um der Rendite ihrer Verleger willen oder aus existenzieller Not. Und in Zeiten, in denen es Zeitungen schlecht geht und in immer mehr Verlagen die Controller die Oberhand gewinnen, ist allein das Preismodell von dapd schon ein echtes Argument. Von der finanziellen Schützenhilfe der dapd-Eigner, die von ihrer Agentur erst in etwa fünf Jahren schwarze Zahlen sehen wollen und bis dahin ein Projekt nach dem anderen unterstützten, kann Büchner nur träumen.
Vor allem aber dürfte Wolfgang Büchner nichts mehr zu schaffen machen als ein Kontrahent, der den Scherbenhaufen flugs zusammenkehrt, den er im vergangenen Jahr hinterlassen hat.
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