Streit über Stromleitungen: "In die Erde muss die Trasse"

Quer durch Niedersachsen: Von Peine bis ins hessische Mecklar führt eine von mehreren geplanten Höchstspannungsleitungen. Die betroffenen Anwohner sind alarmiert, besonders im Kreis Northeim. Ein Besuch.

Möchten die Trassenkritiker nicht sehen müssen: Strommasten in der Landschaft. Bild: dpa

HECKENBECK taz | Norbert Braun zeigt mit seinem Arm in die Ferne. "Etwa hundert Meter Wald müssen da gefällt werden", sagt er und zeigt auf den Hügel hinter einer schneebedeckten Feldmark. Dort soll sie gebaut werden, die Höchstspannungsleitung quer durch Niedersachsen.

Wir sind in Heckenbeck, einem Dorf in der Nähe von Bad Gandersheim, Landkreis Northeim. Seit drei Jahren macht Braun in der örtlichen Bürgerinitiative mobil gegen die Pläne, eine gigantische 380.000-Volt-Leitung von Wahle bei Peine ins hessische Mecklar zu bauen. "Keine Megamasten in Heckenbeck!" steht auf Transparenten im Ort, die die BewohnerInnen an ihren Fachwerkhäusern befestigt haben. Bis zu 80 Meter hoch sollen die Strommasten werden.

Ursprünglich, erzählt Braun, sei die Trasse ja "direkt über mein Haus" geplant gewesen. "Sie können sich vorstellen: da werden sie mobil!" Damit hat alles angefangen. Seit 2007 kämpft der Weinhändler, Mitte 50, gegen die Freileitung - und er ist längst nicht mehr der Einzige. Überall an den rund 190 Kilometern geplanter Leitung haben sich Initiativen gebildet, mindestens 15 allein in Niedersachsen.

Den genauen Verlauf der Trasse von Wahle nach Mecklar bestimmt ein Raumordnungsverfahren. Es entscheidet auch darüber, ob die Leitung über oder unter der Erde verlegt wird.

Das Verfahren soll die Trassen auf "Vereinbarkeit mit den Erfordernissen der Raumordnung und ihre überörtlichen Auswirkungen auf verschiedenste Schutzgüter" hin prüfen.

Fünf mögliche Trassenverläufe wurden von der Betreiberfirma Tennet in das Verfahren eingebracht, nur drei sehen eine Erdverkabelung vor.

22.000 Einsprüche aus der Bevölkerung sind gegen die Pläne der Stromkonzerne eingereicht worden.

Mit einem Raumordnungsbeschluss, der dann die Trasse vorläufig festlegt, endet das Verfahren - vermutlich im August.

Ein Planfeststellungsverfahren beginnt im Anschluss. In seinem Rahmen können AnwohnerInnen gegen den Bau klagen. Am Ende steht die rechtsverbindliche Streckenführung.

Die neue Höchstspannungsleitung ist nötig, um den Strom aus Kohlekraftwerken und regenerativer Erzeugung in Richtung Süden zu transportieren. Davon gibt es viel in Niedersachsen, sei es aus Biogasanlagen oder aus Windrädern. Wahle-Mecklar ist nur eines von mehreren Projekten: Vielerorts in Niedersachsen sollen ähnliche Leitungen gebaut werden. Die Stromkonzerne versuchen dabei um eine Erdverkabelung herumzukommen - aus Kostengründen. Lieber schlagen sie gigantische Schneisen in die Landschaft und stellen Strommasten auf, dreimal so hoch wie der Gandersheimer Dom.

Bad Gandersheim ist Protesthochburg: Über 100 Menschen seien hier aktiv, erzählt Braun. Sie organisieren Demonstrationen, Treffen sich mit PolitikerInnen, schreiben offene Briefe. Im Oktober haben alle Initiativen gemeinsam 300 Feuer entlang der geplanten Trasse entzündet - überall da, wo später die gigantischen Masten stehen sollen. Da kam sogar das Fernsehen nach Bad Gandersheim.

In der "Marktschänke" erinnert sich Peter Gosslar von der BI an die Eröffnung der Domfestspiele im vergangenen Sommer. Mit leuchtenden Augen erzählt der grauhaarige Mann mit der leicht geröteten Nase, wie er damals in der Stiftskirche mit einem Protestschild auf die Bühne trat, einmal im Kreis lief und sie dann wieder verließ. "Himmelwärts ist klasse" stand auf der Vorderseite seines Schildes, "aber in die Erde muss die Trasse" auf der Rückseite. Ob die Leute seine Botschaft verstanden haben, weiß er nicht genau. Aber applaudiert, das haben sie.

Dass diese Stromleitung gebaut werden muss, zieht hier überhaupt niemand in Zweifel. "Wir sind keine Verhinderer", sagt Norbert Braun. Aber: "Wenn ihr diese Leitungen macht, dann seid innovativ und lasst Natur und Menschen nicht in die Röhre gucken."

Wird die Trasse oberirdisch geführt, könnte der Wert der Häuser in der Nähe um 30 Prozent sinken, glaubt Braun. Nach drei Jahren Bürgerinitiative sind er und Peter Gosslar richtige Strom-Experten geworden. Er befürchtet gesundheitliche Probleme durch die Leitung. Auch das Landschaftsbild würden die Megamasten verschandeln, sagt Braun. "Und die Landwirte haben Angst, dass ihre Geräte dann nicht mehr funktionieren."

Die Bürgerinitiativen haben die komplette Lokalpolitik an ihrer Seite. Parteiübergreifend sind die PolitikerInnen in der Region gegen den Bau der Freileitung. "Wir brauchen jemanden, der den Hebel umlegt", sagt Peter Gosslar. "Der in Hannover oder Berlin was startet." Kurz vor Jahresende kam die Nachricht aus Berlin, dass das Erdverkabelungsgesetz geändert werden soll: Eine unterirdische Verlegung wäre dann Vorschrift, wenn die Leitung näher als 400 Meter an bebautem Gebiet vorbeiläuft.

Den Initiativen reicht das nicht. Sie wollen, dass die Leitung komplett unter der Erde verläuft, am besten als Gleichstromleitung. Bislang gibt es so etwas bei ähnlichen Bodenverhältnissen noch nicht. "Das wäre ideal, um das mal auszuprobieren", findet Braun. Dafür will seine Initiative kämpfen. Auch "Verhältnisse wie im Wendland" will er am beschaulichen Harzrand nicht ausschließen.

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