Wahl der Parteivorsitzenden: Lagerkampf um die Grünen-Spitze
Für die Nachfolge der scheidenden Landesvorsitzenden gibt es zwei Kandidatinnen - eine ist katholische Pfarrgemeinderatschefin. Das ist bei den Berliner Grünen so ungewöhnlich, dass es die Wahl entscheiden dürfte.
Die Grünen stehen bei ihrem Landesparteitag Anfang März vor einer Richtungswahl. Denn für die Nachfolge von Landeschefin Irma Franke-Dressler zeichnet sich ein Lagerduell ab: das bisherige Vorstandsmitglied Bettina Jarasch (42), kirchennah und realpolitisch einzuordnen, gegen Marion Hasper (47). Hasper wurde bei der Vorstandswahl 2009 vom linken Parteiflügel unterstützt und verlor nur knapp gegen Franke-Dressler. Die tritt nach vier Jahren an der Spitze aus privaten Gründen nicht mehr an. "Ich leiste mir jetzt eine Rente mit 65", sagte sie der taz.
Jarasch mochte gegenüber der taz ihre Kandidatur weder bestätigen noch dementieren. In der Partei gilt es aber als sicher, dass sie antritt. Hasper bestätigte der taz ihr Interesse: "Abgeneigt bin ich nicht." Am Wochenende will sie sich endgültig festlegen, ob sie antritt odert nicht.
Offizielle Bewerbungen lagen nach Parteiangaben am Dienstag, knapp fünfeinhalb Wochen vor der Wahl, noch nicht vor. Das gilt auch für Franke-Dresslers Kovorsitzenden Stefan Gelbhaar (34). Er hat der taz aber bereits Anfang Januar gesagt, dass er wieder antreten wolle. Gelbhaar gehört zu den Pankower Grünen, die sich traditionell als lagerunabhängig sehen.
Hasper, bei den Grünen in Tempelhof-Schöneberg zu Hause, ist Ingenieurin für Umwelttechnik und hat hier auch ihren politischen Schwerpunkt. Vor der Vorstandswahl 2009 hatte sie sich dagegen gewehrt, als Kandidatin des linken Flügels festgelegt zu werden: "Ich bin grün", sagt sie damals, "in dieses Links-rechts-Gerangel lasse ich mich nicht einpressen." Trotzdem fand sie großen Rückhalt beim links dominierten Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg. Umgekehrt ließ es am Dienstag der Grünen-Chef von Tempelhof-Schöneberg, Jürgen Roth, offen, ob Haspers Bezirk ihre Kandidatur stützen würde.
In Kreuzberg ist eigentlich Jarasch zu Hause. Auf Unterstützung darf sie aber kaum hoffen. "Ich nehme sie nicht als aktive Politikerin in unserem Kreisverband wahr", sagt die Kreuzberger Landesparlamentarierin Heidi Kosche. Insofern sieht Kosche auch keinen Konflikt darin, eine Bewerberin aus einem anderen Kreisverband zu wählen, die sie zudem über das gemeinsame Engagement beim Volksbegehren zu den Wasserverträgen kennt: "Frau Hasper war 2009 unsere Kandidatin, und sie wird es wohl wieder sein, wenn sie antritt."
Jarasch-Unterstützer verweisen auf ihre Arbeit als Beisitzerin im Landesvorstand seit 2009, gerade beim Thema Migration, und auf ihre langjährige Tätigkeit für die Grünen im Bundestag und Fraktionschefin Renate Künast, heute Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl.
Jarasch, seit 2009 als Beraterin und Autorin selbständig, kam 1992 zum Studium aus Augsburg nach Berlin und hat seitdem weder die Stimmfärbung noch die kirchliche Prägung ihrer Heimat abgelegt: In der katholischen Kreuzberger Gemeinde Sankt Marien-Liebfrauen ist sie Chefin des Pfarrgemeinderats. Ihr gehe es vor allem um eines, sagte Jarasch bei ihrer Bewerbung für den Beisitzerposten 2009: "Sichtbar zu machen, dass grüne Politik keine Klientelpolitik, sondern wertorientiert ist."
Wie die Grünen mit einer so kirchennahen Bewerberin umgehen, dürfte die Wahl am 5. März entscheiden. Denn was in anderen Grünen-Verbänden durchaus vorkommt - der Baden-Württemberger Spitzenkandidat Winfried Kretschmann etwa gilt als praktizierender Katholik -, ist in Berlin ungewöhnlich. "Der Landesverband ist da besonders", sagt der evangelische Parlamentarier Andreas Otto. Er unterstützte vor zwei Jahren als einziges Mitglied der grünen Abgeordnetenhausfraktion das Volksbegehren "Pro Reli".
"Hier in Berlin ist es vielleicht kein Plus", sagt Otto, "aber es sollte auch kein Hindernis sein, wenn jemand offen mit seinem kirchlichen Engagement umgeht." Das könne dazu dienen, seiner Partei breitere Wählerschichten zu öffnen. Otto verweist darauf, dass die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Chefin der Synode der Evangelischen Kirche ist: "Das schmückt auch die Partei."
Dass längst nicht jeder seiner Parteifreunde ein solch positives Verhältnis zur Kirche hat, zeigte sich deutlich beim Landesparteitag 2004. Als die Grünen damals in der Katholischen Akademie in Mitte tagten, beantragte ein Delegierter - letztlich erfolglos - ein an der Wand hängendes Kreuz abzuhängen: Er könne das religiöse Symbol nicht ertragen.
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