Sechstagerennen in Berlin: Ein Spektakel wie eh und je

Auch das hundertste Sechstagerennen in Berlin hält, was es verspricht. Jeden Abend peitschen rund 12.000 Zuschauer im Velodrom die Radsportler an - und pfeifen den Sportpalastwalzer.

Bild: dpa, Michael Hanschke

Zur Halbzeit der ewig langen Nächte im Velodrom kocht die Stimmung so richtig hoch. Es wird dann unheimlich laut. Selbst der Hallensprecher muss dann kräftig in sein Mikrofon schreien, um sich Gehör zu verschaffen. Er erklärt immer das, was da unten auf der Bahn so vor sich geht.

Beim populären Steherrennen rackern sich diesmal die Radrennfahrer hinter einem brummenden Motorrad ab, was dem Sportler die Geschwindigkeit vorgibt. Die meisten der Zuschauer - es sind jeden Abend rund 12.000 - sind aufgestanden und peitschen die Sportler nach vorne. Die Regie spielt nun auch noch den Sportpalastwalzer ein. Jeder hier im Velodrom weiß genau, was jetzt von ihm verlangt wird: Nämlich nach dem ersten beiden Takten viermal ganz kräftig pfeifen. Am besten auf zwei Fingern.

Für die, die das verlernt haben, werden draußen an den Ständen Trillerpfeifen angeboten. Kaufen kann man so einiges beim Sechstagerennen. Es gibt Bier vom Fass, Bratwürste, Scampi und österreichische Spezialitäten an Holzbuden, die einen auf urige Skihütte machen. Drei Autohäuser präsentieren ihre Modelle. Die BVG ist mit einem Imageteam angereist, zwei Fahrradhändler versuchen, ihre Maschinen an den Mann zu bringen. "Wir verkaufen beim Sechstagerennen aber höchstens ein paar Helme und einige Trikots. Fahrräder wollen die Leute nicht. Die sind zu teuer", sagt Arnd Heinze, der Seniorchef von Radsport Heinze.

Nicht weit von Fahrrad Heinze werben ein paar unermüdliche Nostalgiker für die Wiederbelebung der Friedensfahrt. Das war einstmals eine Art Gegenveranstaltung des Ostblocks zur Tour de France. Die beiden Herren der Friedensfahrt wirken ein wenig verloren zwischen all diesem Trubel, Geschiebe und Getöse, was das Velodrom zu den Sixdays vollends in den Beschlag genommen hat. Und jeden Abend spielt auch noch eine Band. Am Freitag City, heute, zum "Berliner Tag", der unerschütterliche Frank Zander.

Es gibt im Velodrom aber auch noch Menschen, die interessiert das ganze Unterhaltungsprogramm nicht. Sie bringen ihre Butterstulle mit, damit sie auf ihrem für sechs Abende reservierten Sitzplatz kein einziges Rennen verpassen. Das sind die Radsportexperten, die laut und böse schimpfen, wenn dem Hallensprecher in der Interpretation eines Rennens ein fachlicher Fehler unterlaufen ist. Diese Fans haben nur Augen für die 250 Meter lange und schnelle Holzbahn, auf der die Fahrer scheinbar unermüdlich ihre Runden drehen.

"Unser Publikum ist zwischen 35 und 60 Jahre alt und kommt zu achtzig Prozent aus Ostberlin oder Brandenburg", hat Organisator Heinz Seesing ausgemacht. Ob das irgendetwas zu bedeuten hat, sagt er nicht. Seesing ist stolz, dass der Senat dem Velodrom endlich die lange versprochene Anzeigentafel spendiert hat. Er hat das nicht verlangt, aber insgeheim doch erhofft. Eine halbe Million Euro Miete zahlen die Organisatoren des Sixdays schließlich für die Nutzung des Velodroms an den klammen Senat.

Seesing redet über das Sechstagerennen so stolz wie ein Politiker über ein erfolgreiches, kleines Konjunkturprogramm und nennt beeindruckende Zahlen: Rund 1.000 Menschen arbeiten in dieser Woche im Velodrom, über 3.000 zusätzliche Übernachtungen freuen sich die Hoteliers in der Stadt.

"Die Stimmung ist einzigartig, großartig, sehr speziell. So was haben wir noch nicht erlebt", sagen die beiden aktuellen australischen Weltmeister in der Mannschaftsverfolgung Leigh Howard und Cameron Meyer. Drei Tage benötigte das Duett aus down under, bis sich ihre vom langen Überseeflug schweren Beine endlich gelockert hatten. Dann drehten sie mächtig auf und übernahmen am Samstagabend die Gesamtführung. "Wir werden jeden Tag besser", davon sind die Australier jetzt fest überzeugt.

Hinter Howard/Meyer rangieren aktuell die beiden Brandenburger Robert Bartko und sein Partner Roger Kluge vor den dänischen Titelverteidigern Alex Rasmussen und Michael Mörköv. Das alles ist keine Überraschung.

Allein 800.000 Euro, ein Viertel des Gesamtetats dieses Sechstagerennens, investiert Geschäftsführer Seesing in Gagen und Prämien für die Spitzenfahrer. Zur Halbzeit der Sixdays haben die zahllosen Welt- und Europameister sportlich gehalten, was sich die Veranstalter und die Zuschauer von ihnen versprochen haben. Die Rennen waren spannend, abwechslungsreich und vor allem sehr, sehr schnell. "Es ging gleich ziemlich hastig los", hat Hallensprecher Uli Jansch ausgemacht. Am Donnerstagabend wurde ein Stundenmittel von 57,66 Kilometern gefahren. In 45 Minuten schafften die besten Teams 173 Runden.

Manch einer aus dem oft zitierten fachkundigen Publikum schüttelte da nur ungläubig den Kopf. "Mir sagt man immer, es sei das neue Material und die schnellere Bahn, die solche Leitungen möglich macht. Ich sage dazu lieber nichts", erklärt die Berliner Radsportikone und viermaliger Gewinner des Sechstagerennens, Wolfgang Schulze.

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