die wahrheit: Schötanno und das CSI Berlin
Lange Zeit war er verschwunden. Früher stand der rumänische Bettelmann vor dem Supermarkt. Er wurde "Schötanno" genannt - nach dem Singsang, den er als Torwächter...
... vor dem Geschäft wohl tausendmal am Tag von sich gab. Schötanno hatte sich seine eigene Kurzversion gebastelt, als ihm einmal eine Kassiererin mit routinierter Freundlichkeit "Einen schönen Tag noch" wünschte. Dann war er womöglich in seine Heimat zurückgekehrt und hatte vom großen Erfolg seiner Zauberformel "Schötanno" berichtet, mit der er mehr Geld einnahm als zuvor, da er alle mit einem schlichten "Hallo" begrüßt hatte.
Nach zwei Wintern tauchte er plötzlich wieder auf. Aber er stand nicht mehr vor dem Supermarkt, sondern im S-Bahnhof. Und er bot keine Bettelblätter feil, er presste eine Quetschkommode, aus der etwas Melodieartiges herausquengelte. Sein Lächeln war immer noch gleich devot. Neu allerdings war ein alter Mann, der neben ihm auf dem Akkordeonkasten saß und Schötanno ähnlich sah. Der Alte aber regte sich nicht und starrte leer in die Ferne.
Aus dem Bahntunnel näherte sich jetzt eine seltsame Truppe. Vorweg marschierten drei gardelange Polizisten, hinterher taperte eine dickliche Frau, die sich am Arm einer Beamtin festhielt, weil sie sich auf ihren vom Wasser geschwollenen Beinen kaum bewegen konnte. Die mittelalte Dame war längst auf die unterste Attraktivitätsstufe herabgesunken, hatte aber zur Tarnung einen roten Lippenstift aufgelegt und ihre Haare eigenhändig in einen Zustand gebracht, den ein Fachmann wohl "onduliert" nennen würde.
Schötanno sah das Quintett herannahen und erblasste. Als ihn die Humpelnde entdeckte, schrie sie: "So, Freundchen! Jetzt haben wir dich!" Der Polizistin war das zu viel. Sie fasste die Unförmige fester am Arm und tadelte sie energisch: "Na, na, na!" Doch die vom Jagdfieber gepackte Frau legte nach: "Wir haben deine DNA!", rief sie triumphierend, als ob sie die Heldin einer amerikanischen Fernsehserie wäre. Offenbar wollte sie gerade das "CSI Berlin" auf ihren Fall ansetzen. Woher sie aber die DNS des mutmaßlichen Übeltäters hatte, mochte man sich gar nicht ausmalen. Hatte Schötanno mit der Wasserbeinigen ein Techtelmechtel gehabt? Hatte sie sein Erbgut für alle Fälle als Beweis aufbewahrt?
Die uniformierten Riesen umringten Schötanno, verhielten sich jedoch verblüffend korrekt; verlangten pflichtschuldig seine Papiere; fragten nach gefährlichen Gegenständen, die er eventuell mit sich führe; legten ihm geradezu höflich Handschellen an, bevor sie ihn zu einem ihrer Fahrzeuge bugsierten. Vorher ermunterten sie Schötanno, er solle zum Abschied seinem Vater erklären, was gerade geschehen sei. Doch Schötanno schüttelte nur resignierend den Kopf wie einer, der die Prozedur schon viele, viele Male erlebt hatte. Er wusste, dass er die Nacht in einer Zelle verbringen und vermutlich schon bald im Ungefähren seiner Heimat landen würde.
Der Alte aber blieb noch lange auf dem Akkordeonkasten sitzen und starrte ins Leere.
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