Integration von Kindern mit Behinderung: "Eine kindgemäße Schulpraxis"
Bernd Althusmann, neuer Präsident der Kultusministerkonferenz, über Fortschritte und Pläne der Länder, behinderte Kinder in Regelschulen zu integrieren.
taz: Herr Althusmann, wie wichtig ist es Ihnen, dass ein behindertes Kind in einer Klasse mit nichtbehinderten Kindern zusammen lernt?
Bernd Althusmann: Ich halte es für wichtig, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichtet werden können. Die vom Bundestag 2009 ratifizierte UN-Konvention für das Recht auf den Besuch einer Regelschule für alle Kinder ist dabei der vorgegebene Rahmen für die Länder.
Genau, seit zwei Jahren schon. Wann werden die Länder sie endlich umsetzen?
Die Länder haben sich in diesen zwei Jahren gut vorbereitet. Gemeinsam mit den Verbänden sowie mit Vertretern aus Bund und Kommunen wurde bereits ein Positionspapier zur Umsetzung der UN-Konvention länderübergreifend vorgelegt. Im Laufe des Februar werden wir einen Entwurf für Empfehlungen vorlegen und voraussichtlich Ende des Jahres zur abschließenden Beratung kommen. Es bleibt Sache der Länder, inklusiven Unterricht in größerem Umfang als bisher behutsam umzusetzen. Dabei muss das Wohl des Kindes oberste Priorität genießen. Nicht in allen Fällen ist eine gemeinsame Beschulung die sinnvollste Lösung.
BERND ALTHUSMANN, 44, ist Pädagoge und Betriebswirt und seit April 2010 niedersächsischer CDU-Kultusminister. Am Montag übernimmt er für ein Jahr die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz.
Wer entscheidet, was das Beste für ein behindertes Kind ist: Lehrer und Ärzte wie derzeit, oder doch die Eltern?
Die Eltern wissen am besten, was ihren Kindern zuzumuten ist und wie gemeinsamer Unterricht gewährleistet werden kann. Sie sollten sich dabei aber eng mit den Lehrern abstimmen, um die für das Kind beste Entscheidung zu treffen.
Das ist auf dem Papier so, praktisch ist es für ein lernbehindertes Kind oft nicht zumutbar, in einer Klasse mit 25 Schüler konzentriert zu arbeiten. Was muss sich in den Schulen ändern?
Wir müssen für Akzeptanz des gemeinsamen Unterrichts werben und die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, um dem Elternwillen Rechnung zu tragen. Wir müssen Lehrer fortbilden und die Ausbildung der künftigen Lehrer anpassen. Ich gehe davon aus, dass wir diese große Herausforderung beherzt anfassen, wir sind bereits auf dem Weg dorthin.
Unser Schulsystem setzt eher auf die Trennung von Schülern. Wie sieht eine Schule aus, die gemeinsame Förderung ermöglicht?
Die UN-Konvention macht keine Vorgaben, auf welche Weise Inklusion zu gewährleisten ist, und sie macht keine Aussagen zur Gliederung des Schulsystems. Es wird ja gerne behauptet, dass Inklusion auch Folgen für das differenzierte Schulsystem haben muss. Das ist nicht der Fall.
Die Trennung der Kinder nach Schulleistungen muss sich also nicht ändern?
Es ist und bleibt die Aufgabe von Schule, jedes Kind entsprechend seiner Begabung bestmöglich zu fördern. Es ist natürlich davon auszugehen, dass sich hinsichtlich der besonderen Förderbedarfe von Kindern besonders in der Ausbildung der Lehrer etwas ändern muss.
Das ist sehr unbestimmt. Wie definieren Sie denn gemeinsames Lernen: dass ein Kind mit Down-Syndrom einmal pro Woche mit nichtbehinderten Kindern turnt oder dass ein Down-Kind jeden Tag mit 25 Schülern ohne Behinderung lernt?
Ich bin zurückhaltend mit Empfehlungen. Wir sollten es den Ländern überlassen, auf welche Weise gemeinsames Lernen zu realisieren ist.
Das wird dann aber nicht der große Wurf, sondern der kleinste gemeinsame Nenner, wie man es von der Kultusministerkonferenz gewohnt ist.
Ich gehe davon aus, dass wir uns über fünf Punkte heute schon verständigen können: Was heißt Barrierefreiheit von Schulen, welche Klassengrößen sind ratsam, wie kann Lernen organisiert werden, wie werden Übergänge gestaltet und welche Abschlüsse werden ermöglicht. Ich bin überzeugt, dass wir zu einer guten, kindgemäßen Schulpraxis kommen.
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