Bosnischer Ministerpräsident in Berlin: Merkel schaltet sich in Innenpolitik ein
Beim Berlin-Besuch des Serbenführers Dodik will Merkel Druck machen. Denn seit der Parlamentswahl im Oktober können sich die Volksgruppen nicht auf eine Koalition einigen.
SPLIT taz | Am Freitag wird der Ministerpräsident der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina, Milorad Dodik, von Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen. Ziel der deutschen Initiative ist es, Bewegung in die festgefahrene Innenpolitik des Balkanlands zu bringen. Seit der Wahl im Oktober 2010 gelang es keiner der politischen Parteien eine Regierungskoalition zustande zu bringen. Dazu müssten Parteien aus den drei großen Volksgruppen, den Bosniaken (Muslimen), Serben (Orthdoxen) und Kroaten (Katholiken), für eine Zusammenarbeit gewonnen werden.
Vor allem die beiden sozialdemokratischen früheren Bruderparteien in Bosnien und Herzegowina sind sich spinnefeind. Sie geben nach ihren Wahlsiegen in den Teilstaaten Republika Srpska und der bosniakisch-kroatischen Föderation den Ton an. Während die multinational ausgerichtete "Sozialdemokratische Partei" (SDP) aus Sarajevo den gemeinsamen Staat Bosnien und Herzegowina durch Verfassungsänderungen funktionsfähig machen will, blockieren die serbisch-nationalistischen "Unabhängigen Sozialdemokraten" (SNSD) entsprechende Schritte.
Ihr Vorsitzender und Regierungschef Dodik will vielmehr "seine" Republika Srpska zum von Sarajevo faktisch unabhängigen Staat ausbauen und näher an Serbien rücken. Deshalb will er mit Merkel über den Ausbau bilateraler Wirtschaftsbeziehungen sprechen und so die serbische Teilrepublik unabhängig vom bosnischen Gesamtstaat an die EU heranführen.
Beobachter sind überzeugt, dass nur eine Verfassungsänderung Bosnien und Herzegowina zu einem funktionsfähigen Staat machen kann. Die Verfassung des Friedensabkommens von 1995, die den nationalistischen Parteien entgegenkam, legitimierte die gewaltsame ethnische Teilung. Der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg erklärte 2010 jedoch, sie entspreche nicht europäischen Standards, weil sie Minderheiten benachteilige.
Gegen die Forderung, den Gesamtstaat zu stärken und die Teilstaaten zu schwächen, wehrt sich Dodik. Mit Erfolg: Keine Regierung in Europa spricht öffentlich von Verfassungsreform. Doch wollen die EU und Deutschland nur mit dem Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina die Integration in die EU verhandeln. So sollen die verfeindeten Parteien zum Kompromiss gezwungen werden, ohne eine Verfassungsreform anpacken zu müssen.
Berlin will Dodik vorschlagen, eine Kommission beider Teilstaaten einzurichten, die im Vorfeld die Entscheidungen zur EU-Integration abklärt. So funktionierte ein ähnliches Verfahren bei der Visaregelung. Seit Dezember 2010 dürfen die Bürger des Landes visafrei in die EU reisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“
Wegen antisemitischer Postings
Urteil gegen Kurator:in