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Debatte KommunismusOpium für Andersdenkende

Jörg Sundermeier
Kommentar von Jörg Sundermeier

So weltfremd die kommunistische Parteien sind, der Antikommunismus, der ihnen entgegenschlägt, ist genauso ideologisch.

G eht man davon aus, das stimmt, was die meisten Kommentatorinnen und Kommentatoren in den vergangenen Wochen zur sogenannten Kommunismus-Debatte geschrieben haben, müsste Frankreich schon vor Jahren im Chaos versunken sein. Denn Wahl für Wahl stellen Kommunisten und Trotzkistinnen im Heimatland der Pariser Kommune Kandidatinnen und Kandidaten auf, und manchmal bekamen diese sogar ein beachtliches Ausmaß an Wählerstimmen. Dennoch ist es ihnen nicht gegeben, Frankreich zu unterwandern, es in eine Sowjetrepublik zu verwandeln oder den Marxismus-Leninismus zum Schulfach zu erklären.

Trotzig und zahnlos

Woran liegt das? Nun, die Kommunistinnen und Kommunisten in der Grande Nation sind zwar weitaus intellektueller als ihre deutschen Genossinnen und Genossen, auch haben sie sich gegen die nun schon viele Jahre zurückliegenden Debatten um Eurokommunismus oder Bürokratismus nicht so bockbeinig gewehrt, wie es die deutschen Parteiführer taten - und der Sowjetunion waren sie schon gar nicht so sklavisch ergeben. Trotzdem sind ihre Analysen zumeist weltfremd, sie folgen einer überkommenen Imperialismus-These, können den Faschismus nicht recht erklären und setzen - als Internationalisten! - der Globalisierung ganz ernsthaft den Nationalstaat entgegen.

privat
Jörg Sundermeier

JöRG SUNDERMEIER ist freier Journalist und Programmleiter des Verbrecher Verlags und lebt in Berlin. Seine gesammelten Glossen "Der letzte linke Student" erschienen 2004 im Alibri Verlag.

Die Dummheit der Kommunisten aber ist, wie Ronald M. Schernikau zurecht eingewandt hat, kein Argument gegen den Kommunismus. Selbstverständlich wollen die heutigen kommunistischen Parteien "das System" zum Sturz bringen, nicht aber wie die heutigen Nationalsozialisten und Faschisten dabei wieder neue Lager errichten. Das Erschrecken vor dem stalinistischen Terror sitzt selbst in jenen tief, die man Stalinisten nennt, und wenn sie heute vor Kameras die Verbrechen der Stasi rechtfertigen, so ist das eher als Trotz zu verstehen und keinesfalls als Ausdruck des Willens, diese Verbrechen wiederholen zu wollen. Wenn ein "Stalinist" sich dennoch öffentlich auf Stalin beruft, zeigt dies vor allem den peinlichen Machthunger der Machtlosen.

Und machtlos sind die kommunistischen Parteien und Gruppen. Das "Volk", von dem die Kommunistinnen und Kommunisten so gern sprechen, interessiert sich nicht für den von ihnen propagierten Kommunismus, und auch die Arbeiterklasse kann so korrumpiert gar nicht sein, dass man damit ihr Desinteresse für die kommunistische Lehre der DKP oder der MLPD erklären kann. Sind also die Sozialdemokraten schuld?

Sicher sind gerade die deutschen Sozialdemokraten unerreichte Meister im Kampf gegen die eigene sozialistische Herkunft, dennoch ist der Fehler aufseiten der Kommunisten zu suchen. Liest man die Parteiorgane Rote Fahne oder UZ, fühlt man sich unangenehm von Dummheiten und Binsenweisheiten angegangen. Zu der doch sonst immer so gelobten Revolution in Tunesien oder Ägypten haben die Parteikommunisten aller Länder zu wenig zu sagen. Und die restlos Verblödeten, die mit Lenins fatalem Satz vom "Selbstbestimmungsrecht der Völker" jeden Menschenrechtsbruch rechtfertigen, suchen ihr Heil tatsächlich im Islamismus und in amerikafeindlichen Diktaturen.

Warum die Abwehrreflexe?

Es gibt hierzulande nur sich selbst demontierende kommunistische Parteien, und ein paar kluge Kommunistinnen und Kommunisten, die in diesen Parteien kein Gehör finden. Diese haben Marx oder Lenin verstanden und kritisiert und verlassen sich mehr auf ihre Intelligenz als auf Parolen. Und es gibt neben ihnen Frau Lötzsch, die vom Kommunismus schwärmt, und dabei den Sozialismus der Sozialdemokratie meint. Dennoch bricht eine Debatte vom Zaun, deren Wesen es ist, möglichst schnell möglichst viele Linksintellektuelle zu versammeln, die sich möglichst deutlich vom Kommunismus distanzieren.

Warum aber lässt man den paar Marxistinnen und Kommunisten nicht ihre fünf Wählerinnen und Wähler? Die Heftigkeit der Debatte und die harschen Abwehrreflexe beweisen den totalen Sieg des Antikommunismus, der nicht etwa ein moralischer Reflex von Demokratinnen und Demokraten ist, sondern seinerseits eine Ideologie. Der Kommunismus ist nie so stark gewesen, wie der Antikommunismus glauben macht, und der "innere Feind des Systems", von dem der Antikommunismus ausgeht, ist so machtlos und so selbstvergessen, dass die Anhänger des Parlamentarismus gut schlafen können.

Schlaft gut!

Der Antikommunismus aber redet von einer Unterwanderung durch eine böse dunkle Macht, einzig, um die, die davor Angst haben, zu einer Gemeinschaft zusammenschwören zu können, die den Eliten gehorcht. Jeder wilde Streik, jedes Aufmucken von Nichtprivilegierten wird mit dem Verweis auf die kommunistische Gefahr und auf die Verbrechen des Realsozialismus diskreditiert. Nicht zuletzt liberale Linke helfen anschließend dabei, diese Fälle von Renitenz wieder in die Obhut der Gewerkschaften, der Kirchen oder der Sozialgerichte zu bringen, in denen sich der Protest bald zu einem undurchschaubaren Für-und-Wider wandelt.

Der Antikommunismus sorgt dafür, dass jeglicher Widerstand und jeglicher Protest institutionalisiert wird, nicht durch Berufsrevolutionäre, sondern durch - benutzen wir das Wort ruhig einmal - erfahrene Agenten der Konterrevolution. Daher werden auch die klugen Kommunistinnen und Kommunisten nicht mehr gehört, werden ihre Gedanken immer wieder mit dem Verweis auf die Gulags ausgegrenzt. Der Kommunismus hat an der Wahlurne keine Chance, er ist zurzeit machtlos, auch und gerade in der Partei Die Linke. Er wird dennoch als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Dies dient nur dem Erhalt der bundesrepublikanischen Grundordnung und den Interessen der Eliten. Wer das gutheißt, kann beruhigt vom Kommunismus schweigen, der tut nichts, er will nur beißen. Und hat all seine Zähne verloren. Der vernünftige Rest der Linken jedoch sollte den Kommunismus ernst nehmen und kritisieren, nicht einfach reflexhaft ablehnen. Es könnte zu neuen Erkenntnissen führen.

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Jörg Sundermeier
1970 in Gütersloh geboren, lebt in Berlin. Er betreibt mit Kristine Listau den Verbrecher Verlag (den er 1995 mit Werner Labisch gegründet hat) und ist Autor für diverse Zeitungen und Magazine. Er schrieb mehrere Bücher. Zuletzt „Die Sonnenallee" und „11 Berliner Friedhöfe, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt".
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7 Kommentare

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  • D
    dielendieb

    Endlich! Nach vier zweiten Schritten endlich ein erster! Nicht, weil er anders denkt, sondern weil er sich dem Kern der Sache widmet, weil er zu ergründen versucht, zu differenzieren und dividieren, anstatt pauschal und unvermittelt Partei zu ergreifen.

     

    @Lucia: Sie glauben allen Ernstes, in Nordkorea würde Kommunismus praktiziert?

  • L
    Lucia

    @ Hubert Bauer:

     

    >>...Träume von einem besseren Leben...

  • HB
    Hubert Bauer

    Macht das eigentlich Spaß selbstgefällig über die "heutigen Kommunisten" herzuziehen, während man gleichzeitig ohnmächtig zuschaut, wie das internationale Spekulationskapital sich ganze Staatshaushalte in ungezügelter Profitgier einverleibt.

    Mit dem XX.Parteitag der KPdSU 1956 begann die große historische Niederlage des Sozialismus. Das Volk, die Menschen werden sich nie mit Ausbeutung und Unterdrückung aussöhnen. Da darf der TAZ - Autor mitsamt den hier vertretenen Kommentaroren ruhig überheblich lästern.

    Antikommunistische Autoren wie Kommentatoren sind eigentlich nur bedauernswert, da sie ihre Träume von einem besseren Leben der Menschheit offensichtlich verloren haben.

    • O
      ostendfaxpost
      @Hubert Bauer:

      Die Rote Fahne der MLPD beschreibt den größten Sündenfall der Kommunistischen Weltbewegung, den XX. Parteitag der KPdSU. Für Marxiten Leninisten der Anfang vom Untergang, der die Ursache für die Restauration des Kapitalismus sein soll bis hin zum Ende des Warschauer Pakts. Eine Erklärung an die nur noch überzeugte Ideologen glauben und davon gibt es nicht mehr so viele. In der MLPD haben sie noch eine organisatorische Heimat. Und hier lesen wir die Welterklärung aus der Sicht gestandener Marxisten Leninisten die Umdenken mit Verrat übersetzen.

       

      http://politsekten.blogspot.de/2013/07/xx-parteitag-nach-mlpd.html

  • P
    Peter

    In einer Zeit, in der der Kapital-Fetisch erkennbar alle Lebensbereiche der Verwertungsmaxime unterworfen hat, fragen sich immer mehr Menschen, wie der drohende Kollaps der herrschenden Vergesellschaftung aufgehalten werden kann. Stichwort: Land-Grabbing. Immerhin gab es heute ein Feature dazu im DLF. Das ist nur ein Beispiel, aber wer Augen und Ohren hat, weiß, dass die Zumutung, Ware in der Warengesellschaft zu sein, immer groteskere Ausmasse annimmt. Der antikommunisitische Aufschlag in der sogenannten Kommunismus-Debatte ist nur ein Symptom dieser Zumutung, wahrscheinlich mit der Funktion herauszufinden, wieweit die herrschende Ideologie noch durchträgt bzw. wen ihre Erosion schon erreicht hat.

  • L
    Lucia

    >>...Das "Volk", von dem die Kommunistinnen und Kommunisten so gern sprechen, interessiert sich nicht für den von ihnen propagierten Kommunismus...

  • W
    womue

    Der Witz an den heutigen Kommunisten ist, daß sie die Weiterentwicklung ihrer Gesellschaftstheorie aus den Erfahrungen des real existierenden Sozialismus heraus selber mit allem Nachdruck verhindert haban. Nun, wo sich auch ihre eigenen Genies endgültig vom Marxismus abgewandt haben, stochern sie verzweifelt in den Bildungslücken nach Argumenten und suchen in den Bibliotheken nach nie gedrucktem Wissen. Den oben erwähnten Unterschied zu den nationalen Sozialisten kann ich nicht so sehen. Der sogenannte sozialistische Internationalismus war immer aus der Nähe betrachtet eine Teilmenge des russischen Nationalismus. Und gerade die deutschen Linken sollten es aus der Geschichte heraus eigentlich am leichtesten haben zu begreifen, daß der nationale Begriff direkt aus dem systemischen Denken folgt, also dem Denken in Systemgrenzen. Ich bin immer wieder erstaunt, daß gerade die linken Globalisierungsgegner so tun, als würden sie einen selbstlosen Internatinalismus vertreten. Das sind mentale Haltungen, die Linke übrigens in ihren Familien und in den Städten oder Gemeinden, in denen sie wohnen, oder auch in ihren Parteien, Sportvereinen und Agitationsgruppen mit aller Vehemenz bekämpfen würden. Was nicht zuletzt - mit Verlaub - deren Schizophrenie beweist.