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Urteil zum VersammlungsrechtProtestieren muss erlaubt sein

Das Verfassungsgerichtsurteil zum Protest auf Flughäfen und Bahnhöfen zwingt zum Umdenken: Auch Private müssen wohl bald Demos dulden.

Privat: Polizei sperrt den öffentlichen Platz beim Astraturm. Bild: H. Doose

HAMBURG taz | Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Demonstrationen im halb-öffentlichen Raum hat auch für Hamburg Folgen. "Das Urteil hat indirekt natürlich Auswirkungen auf unser Verfahren", sagt Anwältin Cornelia Ganten-Lange. Sie vertritt eine Klage gegen die Hamburger Polizei, die am 22. August 2008 eine Demonstration gegen Sammel-Abschiebeflüge am Airport auflöste.

Begründet wurden die polizeilichen Beschränkungen bei der Anti-Abschiebe-Demonstration hauptsächlich damit, dass es sich beim Airport um Privatgelände handele. Nach dem Karlsruher Urteil sind jedoch Demonstrationen auf Flughäfen, Bahnhöfen, in Häfen und Einkaufszentren zulässig, sofern diese sich mehrheitlich im staatlichen Besitz befinden. Die Stadt Hamburg hält 51 Prozent der Anteile am Airport.

Ursprünglich sollte der Protestmarsch außen an den Abflug-Terminals vorbeigehen, um die Rolle des Flughafen bei Abschiebungen zu dokumentieren. Danach sollte der "Terminal Tango" aufgesucht werden, wo die Bundespolizei ihr Domizil hat, die Abschiebeflüge organisiert und begeleitet.

Vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) setzten die Veranstalter zwar eine mehrstündige Kundgebung am Rande des Flughafens durch. Während jedoch die Flughafen AG an jenem Tag Proteste einiger Gruppen direkt im "Terminal 1" vorausschauend deeskalierend duldete, ließ Polizei-Gesamteinsatzleiter Peter Born die Kundgebung auflösen - vier Stunden vor dem vom OVG verfügten Ende.

Begründet wurde dies mit "erheblichen Störungen", da Teilnehmer der Kundgebung zu den Gruppen im "Terminal 1" stoßen wollten. Born ist bei Demonstrationen für seine harte Linie bekannt. Diesen Dienstag ist er noch schnell befördert worden - gegen ein rot-rot-grünes Votum und mit der entscheidenden Stimme von Noch-Innensenator Heino Vahldieck (CDU).

Für andere Proteste dürfte das Karlsruher Urteil die Karten neu mischen. So war einer linken Demonstration zum "Tag der deutschen Einheit" 2008 die Hafencity als Demonstrationsort verwehrt worden - unter dem Hinweis, dass es sich um Privatgelände handele. Die "Hafen-City GmbH" befindet sich zu 100 Prozent im Besitz der Stadt, die treuhänderisch das "Sondervermögen Stadt und Hafen" verwaltet.

Einiges spricht dafür, dass die Karlsruher Verfassungsrichter in künftigen Urteilen auch das Demonstrationsrecht in privaten Orten stärken, die den den öffentlichen Raum bestimmen: Einkaufspassagen, Shopping Malls und Erlebniswelten. "Die Versammlungsfreiheit entfaltet Ausstrahlungswirkung auf das Privatrecht", sagt Ex-Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling, der mit der Anwältin Ulrike Donat ein Gutachten zum Versammlungsrecht beim Bauarbeiterstreik 2007 verfasst hat.

Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit könne "bindende Verpflichtungen von Privaten begründen, das Grundstück für eine Versammlung zur Verfügung zu stellen", so die Juristen. So sei eine Baustelle für die IG Bau der "räumlich und sachlich nächstliegende Platz, um für ihre Tarifforderung zu demonstrieren und Arbeitnehmer zum Mitmachen aufzufordern". Das Versammlungsrecht gelte auch für private Flughäfen, Bahnhöfe und Einkaufszentren, "wenn der Ort die Funktion eines öffentlichen Ortes übernimmt", sagt Kühling.

Interessant dürfte sein, wie sich die Rechtssprechung entwickelt. Noch im vorigen Oktober war einer Demonstration des Bündnisses "Recht auf Stadt" der Zugang zum öffentliche zugänglichen Gebrüder Wolf Platz am Astraturm in St. Pauli verwehrt worden, da das Umfeld des nahezu leer stehenden Gebäudes Privatgelände sei.

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