Debatte um Krebsregister in Niedersachsen: Alarmsystem für Asse & Co
In Niedersachsen gibt es keine Meldepflicht für Krebsfälle. Nach den Debatten um auffällig viele Erkrankungen in Asse-Nähe will die CDU das ändern. Die Statistiker freuts, der Koalitionspartner hat Bedenken.
HAMBURG taz | Kann eine stillgelegte Mülldeponie in Cloppenburg Ursache für Krebserkrankungen sein? Verursacht das AKW-Brokdorf die erhöhten Krebsraten in Wewelsfleth? Hängen die auffällig vielen Leukämieerkrankungen in der Samtgemeinde Asse mit dem Atommülllager zusammen? Die Daten, die es braucht, um Antworten zu finden, liefern die Krebsregister der Länder.
In Niedersachsen sind Ärzte aber bislang nicht verpflichtet, Krebsfälle zu melden. Das will Gesundheitsministerin Aygül Özkan (CDU) ändern und eine generelle Meldepflicht einführen. Ansonsten gäbe es weiter eine lückenhafte Datenlage, die Ursachenforschung schwierig mache. "Das Krebsregister kann nur so gezielt analysieren, wie es über vollständige Meldungen verfügt", sagte Özkan im Dezember im Landtag in Hannover. Dies sei bisher nur zu etwa 50 Prozent der Fall. Seitdem arbeitet ihr Ministerium an einem entsprechenden Gesetzentwurf, der Ende Juni 2011 vorliegen soll.
Die Opposition ist mit dem Kurs der Ministerin voll zufrieden. "Das Bundeskrebsregistergesetz von 2009 sieht eine deutliche Erweiterung der Meldedaten vor, Niedersachsen hängt hinterher", sagte der SPD-Sozialexperte, Uwe Schwarz, der Braunschweiger Zeitung.
Die Regelungen der Nordländer:
In Bremen gilt die Meldepflicht, Patienten haben jedoch ein Widerspruchsrecht.
In Schleswig-Holstein gilt Meldepflicht. Der Patient kann nur entscheiden, ob seine Daten anonym gespeichert werden.
In Mecklenburg-Vorpommern besteht für die epidemiologischen Daten Meldepflicht. Personenbezogene Daten nur auf freiwilliger Basis des Patienten.
In Hamburg gilt Melderecht, personenbezogene Daten werden nach Einwilligung des Patienten erfasst.
Niedersachsen hat bisher ein Melderecht, will aber eine Meldepflicht ohne Widerspruchsrecht einführen.
Koalitionspartner FDP sieht das ein wenig anders. Man wolle zwar auch die Meldepflicht einführen, aber es müsse ein Widerspruchsrecht für Patienten festgeschrieben werden. "Es gibt ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung", sagt Roland Riese, sozialpolitischer Sprecher der FDP. "Es muss erlaubt sein, als Patient Nein zu sagen." Dieses Recht gebe es schon in Baden-Württemberg, im Saarland oder auch in Bremen. Von diesem Recht machen dort aber nicht viele Patienten Gebrauch.
"Natürlich darf das informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht eingeschränkt werden", sagt Hans-Joachim Menzel, stellvertretender Hamburger Datenschutzbeauftragter. "Aber in diesem Fall sind wir leidenschaftslos, denn das Registrieren von Krebsfällen ist ein absolut legitimes Anliegen und im Interesse der Bürger." Die Krebsregister gliederten sich bereits in Vertrauensstelle und Registerstelle und gewährleisteten durch strikte organisatorische Trennung den Schutz der persönlichen Daten.
"Idealerweise haben wir in den Krebsregistern eine Vollerfassung aller Fälle", sagt Alexander Katalinic, Leiter der Registerstelle des Krebsregisters Schleswig-Holstein. Nur dann könne man etwaige Häufungen - wie in Wewelsfleth oder in der Samtgemeinde Asse - richtig interpretieren. Wenn 90 Prozent der Krebsfälle erfasst würden, sei es möglich, "einigermaßen stabile" Aussagen zu treffen, besser seien über 95 Prozent. Eine Meldepflicht könne helfen, diese Quote zu erreichen.
Die Krebsregister der Länder erstellen Jahresberichte über die Verteilung von Krebserkrankungen, machen sich aber nicht selbst auf die Suche nach lokalen Auffälligkeiten. "Kausale Zusammenhänge festzustellen, ist nicht unsere Aufgabe", sagt Katalinic. "Wir sind nur eine Art Alarmsystem." Analysen für einzelne Regionen erstelle man erst auf Anfragen von besorgten Anwohnern oder Bürgermeistern, denn "die Menschen sind ein feiner Indikator dafür, ob etwas stimmt oder nicht".
Als beispielsweise bekannt wurde, dass in unmittelbarer Asse-Nähe zwischen 2002 und 2009 mehr als doppelt so viele Leukämie- und dreimal so viele Schilddrüsenkrebs-Erkrankungen wie im statistischen Mittel aufgetreten waren, hatte es im Dezember vom Gesundheitsamt Wolfenbüttel einen öffentlichen Aufruf an die Betroffenen geben, damit die Ärzte die notwendigen Daten erfassen könnten. "Etwa 80 Prozent aller Betroffenen haben bisher den Fragebogen zurückgeschickt", sagt Rolf Bertram, der sich für die Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz e.V. in Bremen engagiert, die sich für die Aufklärung der Krebsfälle in Asse-Nähe und Wewelsfleth einsetzt. "Das zeigt, dass die Menschen ein Interesse daran haben, zur Aufklärung beizutragen."
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