piwik no script img

St. pauli gegen Hannover 96Drecksspiel, ganz sauber verloren

In einer unterirdischen Partie schenkt St. Paulis Asamoah Hannover kurz vor Schluss den Ballbesitz - und damit den 1:0-Sieg am Millerntor. Von der Champions League redet in Hannover trotzdem niemand.

Ein Herzchen für die krank im Bett liegende Liebste: Christian Schulz. Bild: dpa

HAMBURG taz | In Hannover reden sie derzeit gern vom "Vereinsrekord". Das ist eine ziemlich praktische Chiffre, um nicht von Höherem sprechen zu müssen. Etwa der Champions League. "Wir freuen uns natürlich über den Vereinsrekord", sagte Mirko Slomka also nach dem, wie auch er fand, glücklichen Sieg beim FC St. Pauli. 14 Siege hatte noch keine Mannschaft von Hannover 96 je in der ersten Bundesliga geholt. Nun steht der nächste Vereinsrekord auf dem Programm: 50 Punkte. Es fehlen noch sechs, bei zehn ausstehenden Partien. Da wird es zur Nebensache, dass am Samstag die Bayern zum Spiel um Platz drei nach Hannover kommen - als Herausforderer.

Dabei waren die Voraussetzungen für die weitere Rekordjagd schlecht: Hannover 96 musste am Millerntor ohne seinen Topstürmer Ya Konan antreten, ohne den in den vergangenen anderthalb Jahren kein einziger Sieg gelungen war.

Auf der Gegenseite fehlten Holger Stanislawski im Nordderby gleich sechs verletzte oder gesperrte Verteidiger. So kam auf der linken Abwehrseite Jan-Philipp Kalla zu seinem Bundesliga-Debüt.

Eva Kalla hatte das schwarz-rote Wollmützchen als Talisman dabei, mit dem ihr Sohn als Sechsjähriger bei seinem allerersten Fußballtraining seine Ohren geschützt hatte. Die Frau war nervöser, als die übrigen 24.487 Zuschauer zusammen - hatte ihr Sohn doch "achtzehn Jahre für diesen Einsatz gearbeitet".

Auf dem vom Winter arg mitgenommenen Rasen setzte Kalla das erste Ausrufezeichen, als er nach dreizehn Minuten erstmals Hannovers Torwart Ron-Robert Zieler mit einem Schuss aus der Winterstarre zwang. Auf der anderen Seite zielte Lars Stindl drei Minuten später an den rechten Pfosten. Der Rest war gähnende Langeweile: hohe Bälle, Fehlpässe im Dutzend. Stanislawski sollte nach Ende der Partie von einem "katastrophalen Fußballspiel" sprechen, sein Mittelfeldregisseur Matthias Lehmann die Vokabel "Drecksspiel" benutzen.

Nach der Pause sorgten lediglich Fabian Boll mit einem leicht verzogen Kopfball und Hannovers Sturmduo Jan Schlaudraff/Mohammed Abdelllaoue mit einer von Thomas Kessler souverän parierten Doppelchance für kleine Aufreger. St. Pauli holperte und stolperte - und wie Hannover es geschafft hatte, in dieser Saison bislang dreizehn Siege zu holen, blieb auch ein Rätsel.

Die Lösung kommt kurz vor Schluss, als St. Pauli beweist, dass es nicht nur unfair gewinnen, sondern auch fair verlieren kann. Den Heimsieg gegen Mönchengladbach hatte Matthias Lehmann eingeleitet, indem er mit einem theatralischen Zusammenbruch den Platzverweis für De Camargo provozierte. Diesmal zeigt sich Gerald Asamoah gegen seinen Ex-Club als Saubermann: Drei Minuten vor Schluss gibt er gegenüber dem Schiedsrichter zu, dass nach seinem Schuss kein Hannoveraner mehr den Ball berührt hat. Die Folge: Der Referee nimmt seine Eckstoß-Entscheidung zurück, gibt stattdessen Abstoß für 96, was sechzig Sekunden später zu einem Eckball auf der anderen Seite führt. Den schädelt Christian Schulz zum Siegtreffer ins Tor.

"Das ist halt Hannover - so haben die all ihre Punkte geholt", ärgerte sich Hamburgs Boll über die Last-Minute-Niederlage während Asamoah den bekennenden "Fairlierer" gab: "Ich würde es wieder so machen."

St. Pauli ist damit nach furiosem Rückrundenstart wieder in der grauen und manchmal grauenvollen Bundesliga-Wirklichkeit angekommen: Nach unglücklichen Unentschieden gegen Freiburg und in Hoffenheim und überzeugend herausgespielten Siegen gegen Köln und Mönchengladbach war schon das Spiel beim HSV spielerisch schwach. Das verdeckte allein die Freude über den historischen Sieg gegen den Lokalrivalen. Gelungen ist dem Aufsteiger seitdem nicht mehr viel.

Nur Eva Kalla darf sich am Ende zwischen lauter betrübten Hamburger Gesichtern leise freuen, als Holger Stanislawski sagt, zumindest die Leistung ihres Sohnes sei "ein kleiner Lichtblick" in diesem tristen Spiel gewesen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!