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berliner szenen Gegen Antisemitismus

Korrekt mit Wecker

Woher kommt bloß dieses neurotisch gestörte Verhältnis zu linken Protestsongs und traditioneller jiddischer Folklore? Das einen schon beim ersten Erklingen von „Jiddele mit dem Fiddele“ schamdurchwaltet zur Salzsäule erstarren lässt? Sicherlich hat das nur etwas mit der eigenen Vergangenheit zu tun. Etwas musikalisch Unaufgearbeitetes. Im Kreuzberger Festsaal bot sich am letzten Mittwoch erneut die emotionale Probe aufs Exempel: Avitall Gerstetter, die erste weibliche Kantorin aus Deutschland, und Konstantin Wecker stellten auf einem kleinen Konzert ihre gemeinsam besungene Single „Sage Nein zu Antisemitismus“ vor.

Bei einigen Antifa-Gruppen, muss man dabei wissen, ist Wecker untendurch, weil er vor dem letzten Golfkrieg noch zu einer pazifistischen Stippvisite nach Bagdad gejettet ist. Diese Leute sind also nicht gekommen. Auch das jugendliche Zielpublikum (die Platte mit ihren zwei Liedern soll an Schulen verteilt werden) ist ausgeblieben. Wahrscheinlich lagen sie um diese Zeit schon alle in den Federn. Oder schlichen, wie man sich anhand der jüngsten Zeitungsberichte ausmalen könnte, durch die Stadt, um Davidsterne auf Grabsteine zu pinseln oder mit alten Zeitungen die Neue Wache in Brand zu setzen.

Blieben also 40 Leute, die bestimmt schon vor 30 Jahren Weckers Platten gekauft haben und durch ihr rhythmisches Mitklatschen zur Musik ein herzhaftes und solidarisches Bekenntnis gegen den Antisemitismus abgaben. „Mach dich stark und misch dich ein, zeig es diesem dummen Schwein, sage Nein“, reimte sich in Weckers Song alles schön zusammen. Und da war es wieder, dieses musikalische Gefühl: Hey Leute, heizt ihm ruhig ein, dem antisemitischen Schwein, von uns wird’s schon keiner gewesen sein. JAN-HENDRIK WULF

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