piwik no script img

Klumpenwesen auf dem Clip-Weg

Beim „Pictoplasma Animation Festival“ wird klar, warum das Entwerfen von comicartigen Figuren so starken Aufwind hat: Die gezeichneten und animierten Characters geben Webdesignern neue Arbeit und lassen Raum für jedwede Zuneigung

Mit röchelnden Lauten beißt das kleine Monster in allerlei Gegenstände

VON HARALD FRICKE

Punkt, Punkt, Komma, seit den Lascaux-Höhlen geht das so. Eine Nase hier, ein Kullerkopf dort; und immer wieder: Fremde Augen sehen dich an! Das ist auf der Brunnenstraße nicht anders. Links glotzt ein Buddha aus dem Fenster eines Asia Shops, nebenan ist der Hof zur WBD-Galerie mit Graffiti übersät.

Keine üble Gegend für das Headquarter von Pictoplasma. Wobei sich Peter Thaler das Büro, das er vor kurzem erst gemeinsam mit Lars Denicke bezogen hat, genauso gut in „Uruguay, Plauen oder Castrop-Rauxel“ vorstellen könnte. Schließlich läuft ein Großteil ihrer Arbeit im Internet ab: Hier findet der Austausch über neue characters statt, werden Bilddateien hin- und hergeschoben oder kurze Filmanimationen verschickt.

Pictoplasma? Characters? Denicke denkt einen Moment nach und definiert dann: Ein Character, das ist eine Figur, die ein Zeichner erfunden hat. Das können koboldhafte Wesen sein, die erst nur auf einer Homepage im Netz existieren – wie die „Happy Tree Friends“, die später als mörderische Cartoonfamilie ihren Siegeszug auf MTV starteten.

Mittlerweile findet sich Character Design überall: als Street Art, als Galeriekunst. Es gibt Sammelbildchen und Sticker, manche Figuren haben es als poppiges Spielzeug made in Japan zu einiger Prominenz gebracht. Um „Hello Kitty“ wurde in den 90er-Jahren sogar ein komplettes Markenimperium aufgebaut. Die Werbung braucht Characters, um Kindern mit lustigen Figuren neue Schokoflocken zu verkaufen; und in der Popmusik haben die Gorillaz um Blur-Sänger Damon Albarn das Konzept einer virtuellen Band entwickelt, die nur als Zeichentrickfilm existiert.

Für Thaler ist das Phänomen also längst Teil der neueren Kulturgeschichte. Deshalb sichtet und archiviert der ausgebildete Animator seit 1999, was weltweit an Character Design entsteht. Das war auch der Beginn von „Pictoplasma“: Als Plattform für die unzähligen Aktivisten innerhalb der Szene gegründet, haben Thaler und Denicke 2001 und 2003 zwei schmucke Enzyklopädiebände mit ausgiebigem Bildteil herausgebracht.

Im letzten Jahr wurde als ein erster Höhepunkt die „1st Pictoplasma Konferenz“ in Berlin veranstaltet, zu der an die 500 Produzenten aus den Bereichen Illustration, Kunst und Gestaltung angereist kamen. Dieses Wochenende nun wird beim „Pictoplasma Animation Festival“ die dreistündige DVD „Characters in Motion“ vorgestellt. Neben Lectures und Präsentationen – darunter die legendären Ghibli-Studios – gibt es mehrere Filmprogramme, in denen eine Auswahl aus über 90 internationalen Kurzanimationen gezeigt wird. Und weil zu einer ordentlichen Produktpalette auch Geschenke gehören, hat man zu Weihnachten ein „Pictoplasma Colouring Book“ veröffentlicht.

Dabei ist noch immer nicht klar, was denn nun den großen Reiz dieser Figuren ausmacht. Liegt es am Siegeszug von Comics? Oder generell an der um sich greifende Verplüschung des Alltags? Thaler sieht eher eine Verwandtschaft zu der sich rasant ausbreitenden Street Art. Neben HipHop-Tags und Aerosol-Kunstwerken sind auch Characters für ihn der Versuch, mit einfachen Mitteln zu kommunizieren. Umso mehr interessiert ihn, wie diese Figuren in die Öffentlichkeit gelangen „und warum sie überhaupt wirken“. Denn oft sind Character nicht mit einer besonders naturalistischen Mimik ausgestattet, sondern bleiben in ihrer Physiognomie reduziert und fast abstrakt. Punkt-und-Komma-Gesichter eben.

Da ist zum Beispiel der Franzose Frederick Dufeau, in dessen „We come in peace“ ein quirliges Klumpenwesen mit einer mächtigen Zahnreihe durch allerlei skurrile Situationen trottet. Obwohl sich oft nur die schwarz gefetteten Augenbrauen bewegen, ist man als Zuschauer sofort von dem bösartigen Haufen Etwas eingenommen, vielleicht auch wegen der seltsam röchelnden Beavis-&-Butthead-Laute, mit denen das Monster in allerlei Gegenstände beißt. Gerade die Unbestimmtheit der Figur schafft eine große emotionale Nähe, als würde man seine Zuneigung auf eine Leerstelle projizieren.

Gleichwohl vermuten Thaler und Denicke, dass der Boom in engem Zusammenhang mit dem Niedergang des Webdesigns steht. Der Computer als Werkzeug ist geblieben, jetzt wird die Kreativität eben in seltsame Strichmännchen investiert. Durchaus mit Erfolg. Immer häufiger lassen MTV und Viva ihre unterschiedlichen Sendeformate mit kurzen Character-Clips anmoderieren, das reicht von den fresssüchtigen Monstern von „bytesize“, die das britische Grafik-Duo peskimo entworfen hat, bis zu den „Bunnies“ aus dem deutschen Studio soi. Das US-Kollektiv Friends with you hat für Nike irrwitzige Werbespots gedreht, in denen sitzsackähnliche Figuren durch eine asiatische Kalligrafielandschaft wirbeln und im Kampf zwischen Gut und Böse am Ende einen Turnschuh erschaffen. Kathi Käppel aus Berlin wiederum hat sich für „Däumelinchen“ das entsprechende Märchen von Hans Christian Andersen vorgenommen und in ein psychedelisches Setting aus Farbkaleidoskopen und Tapetenmusterblumen übertragen.

Nicht von ungefähr sind beim Pictoplasma-Filmfestival deshalb Talentscouts von Disney und den Pixar-Studios unterwegs. Schließlich lässt sich hier eine gute Mischung aus Indie-Credibility und Marktgängigkeit abholen – da können die kleinen Biester noch so bissig sein.

Heute 14 bis 23 Uhr und morgen 11 bis 0 Uhr im Babylon Mitte, Rosa-Luxemburg-Straße 30. www.pictoplasma.com

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen