: Spielerisch Gewalt verhindern
Sechs Berliner Initiativen wurden beim Gewaltpräventionstag für ihre Arbeit mit Männern und Jungen ausgezeichnet
Für die Charlottenburger Jugendlichen geht alles sehr schnell: Der Streit um ein Mädchen in der Disco wird zur Schlägerei. Und die artet aus. Die jungen Täter werden von der Polizei mitgenommen. Gefährliche Körperverletzung lautet die Anklage vor Gericht. Endstation: Justizvollzugsanstalt Tegel. „Wir haben nicht gerade den modernsten Trakt des Gefängnisses gewählt“, sagt Dieter Hohn – und klärt auf. „Wir wollten unseren Schülern in einer Woche komprimiert zeigen, welche Folgen drohen können, wenn aus Aggression Gewalt wird“, erklärt der Schulleiter der Pommern-Oberschule in Charlottenburg. Festnahme, Gerichtstermin und schließlich der Besuch im Tegeler Gefängnis sind Teil eines Rollenspiels, das 19 Schüler der Hauptschule im Mai diesen Jahres erlebt haben.
Gestern hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) der Charlottenburger Schulinitiative den mit 5.000 Euro dotierten Berliner Präventionspreis verliehen. Das Projekt zeige vorbildlich, welche Folgen die Eskalation der Gewalt haben kann, sagte er bei der Verleihung während des diesjährigen Gewaltpräventionstages. Der Wettbewerb, an dem sich 28 Initiativen beteiligten, stand unter dem Motto „Männliche Sozialisation und Gewalt“. Insgesamt wurden sechs Preise an Anti-Gewalt-Initiativen vergeben.
Die Pommern-Schule teilt sich den ersten Preis mit einem Projekt des schwulen Beratungszentrums Mann-O-Meter. Gemeinsam mit Berliner Gefängnissen bietet die Initiative seit 15 Jahren so genannte Männerkurse für Gefangene an. „Wir wollen den Alltag durchleuchten und Männerbilder hinterfragen, die zum Beispiel in der Werbung präsentiert werden“, sagt Marcus Behrens. Er betreut die sechswöchigen Kurse mit den Straftätern psychologisch. Man wolle eine Sensibilität dafür schaffen, Gewalt als solche zu erkennen. „Es ist wichtig, überhaupt erst mal über männliche Identität, Aggressionen und Sexualität zu sprechen“, so Behrens.
Mit dem diesjährigen Schwerpunkt wollte die Landeskommission gegen Gewalt, die den Preis seit sechs Jahren vergibt, auf das Problem aufmerksam machen, dass körperliche Gewalt in überwiegendem Maße von Männern ausgeübt wird. „Wir brauchen deswegen geschlechtsspezifische Maßnahmen und Aktivitäten, um des Problems Herr zu werden“, sagte der Vorsitzende der Kommission, Bildungsstaatssekretär Thomas Härtel. Eine dringend notwendige öffentliche Debatte sollte dabei auch nicht außer Acht lassen, dass Männer nicht nur Täter, sondern in den meisten Fällen auch Opfer der Gewalt seien.
Hier setzt die Arbeit des Vereins Strohhalm an, der den mit 2.500 Euro dotierten dritten Preis erhielt. Mit Programmen für Kitas und Grundschulen will die Initiative sexuelle Übergriffe auf Kinder verhindern helfen. Ausgezeichnet wurde der Verein für ein Rollenspiel, in dem die alltägliche „kleine Gewalt“ von Jungen an Mädchen thematisiert wird. Einen Sonderpreis der Initiative Schutz vor Kriminalität in Höhe von 1.500 Euro ging an die „Jungengruppe des Deutsch-Türkischen Kindertreffs Wasserturm“ unter Leitung von Hakan Aslan, der dort mit arabischen und türkischen Jugendlichen arbeitet.
Die Märkische Grundschule in Reinickendorf erhielt den von der Unfallkasse Berlin gestifteten Sonderpreis in Höhe von 1.000 Euro für ihr Musical-Projekt „Wer schlägt Joey? Oder wollen wir das gar nicht wissen?“ Ebenfalls 1.000 Euro stiftete die Securitas Sicherheitsdienste GmbH für die Internetseite „4Uman“ als Beratungsangebot für Männer, die ihre Frauen schlagen.
Schulleiter Hohn hatte für seine Präventionswoche in der Charlottenburger Pommer-Schule eine besonders problematische Klasse ausgesucht, mit der es immer wieder Probleme gegeben hatte. Ein halbes Jahr später konnte er gestern bei der Verleihung seinen ersten Präventionserfolg vermelden. Er habe seitdem keinen dieser Schüler mehr in sein Amtszimmer wegen irgendwelcher Dummheiten bestellen müssen.
Korbinian Frenzel
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