Interview mit Bischof Markus Dröge: "Der Mensch ist zur Wahrheit berufen"
Es ist Fastenzeit. Die evangelische Kirche schlägt etwas Besonderes vor: sieben Wochen auf Ausreden verzichten. Die taz nimmt das zum Anlass, einige Fragen zu stellen - an Landesbischof Markus Dröge.
taz: Herr Dröge, auf der Website der Evangelischen Kirche in Deutschland steht in einer Fürbitte für Japan: "Wo warst Du, Gott, als das Chaos in Deine gute Schöpfung einbrach?" Müsste man nicht ehrlicherweise sagen: Das Chaos gehört zur Welt?
Markus Dröge: Die Natur, die Schöpfung hat ihre grausamen Seiten. Das weiß auch die Bibel, wenn sie vom "Tohuwabohu" redet, aus dem Gott die Schöpfung entstehen lässt. Manchmal haben wir romantische Vorstellungen von der Natur, die zerbrechen, wenn wir solche Katastrophen sehen. Für manche Menschen zerbricht auch das Gottesbild, weil sie es sich nur harmonisch wünschen. Aber hinter der Frage, wie Gott so etwas zulassen kann, steht das Verständnis, dass Gott wie ein Programmierer die Welt lenkt. Das biblische Verständnis ist ein anderes: Gott ruft den Menschen in die Verantwortung für die Schöpfung, er programmiert ihn nicht. Gott leidet selbst, wenn Menschen leiden, und fordert sie auf, einander zu helfen. Deshalb rufen wir zum Gebet. Wir haben aber auch eine Partnerkirche in Japan, die wir gefragt haben, wie wir sie am besten unterstützen können.
Noch mal zum Stichwort Ehrlichkeit: In dieser Fastenzeit empfiehlt die evangelische Kirche "sieben Wochen ohne Ausreden". Warum nur sieben Wochen? Weil die Kirche weiß, wie menschlich das Lügen ist?
56, ist Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Er wurde von der Landessynode im Jahr 2009 auf 10 Jahre gewählt. Vorher war Dröge seit 1986 Pfarrer in Koblenz.
Solche Fragen bekommen wir auch zu Weihnachten gestellt: Ob man wirklich nur an einem Tag die Botschaft des Friedens bedenken soll. Auch jetzt gilt: Natürlich sollen wir immer ehrlich und aufrichtig sein. Aber es ist wichtig, sich dies zu bestimmten Zeiten wieder ins Bewusstsein zu rufen und einzuüben. Dahinter steht die christliche Botschaft, dass der Mensch berufen ist, zur Wahrheit zu stehen und die Widerstände auszuhalten, die sich daraus ergeben.
Müssen Sie selbst wegen der Aktion auch anders reden?
Ich muss mich da nicht besonders verändern. Ich stehe immer auf dem Prüfstand und muss zu dem stehen, was ich sage.
Sie sind jetzt knapp anderthalb Jahre im Amt. Fühlen Sie sich angekommen in Berlin? Und was machen Sie anders als Ihr Vorgänger Wolfgang Huber?
Ich fühle mich gut angekommen und angenommen. In Berlin wird man schnell akzeptiert, was sicherlich daran liegt, dass eine Metropole gewohnt ist, sich auf neue Leute einzustellen. Was ich anders mache als Bischof Wolfgang Huber, liegt weniger im inhaltlichen Bereich, wir sind uns theologisch sehr ähnlich. Aber ich komme von der Praxis, ich war 25 Jahre Pfarrer und habe im ersten Jahr viel Wert darauf gelegt, die Landeskirche kennenzulernen.
Die Mitgliederzahl dieser Kirche sinkt beständig. In Berlin hat sie keine 700.000 Mitglieder mehr, vor zehn Jahren waren es noch über 800.000. Ist dieser Trend umkehrbar?
Warum fragt man das uns als Kirche immer wieder? Warum fragt man das nicht auch den DGB, dessen Gewerkschaften in den letzten zehn Jahren 2 Millionen Mitglieder verloren haben? Warum fragt man nicht die Partei der Linken, warum sie bundesweit nur 70.000 Mitglieder hat? Es ist ein gesellschaftlicher Trend, dass sich die Mitgliedschaften ausdifferenzieren. Daran haben wir teil. Aber der Einfluss der Kirche liegt ja nicht nur an der Zahl der Mitglieder. Wie die Gewerkschaften hat auch die Kirche eine Bedeutung um der Sache willen. In unserem Fall die Botschaft des Evangeliums, dass der Mensch eine Würde hat, berufen ist zur Freiheit, zur Verantwortung für die Mitmenschen.
Unter Katholiken gibt es die Sichtweise: Lieber weniger, aber überzeugtere Mitglieder.
Ich stehe so einer Haltung kritisch gegenüber. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass man, wenn man schrumpft, automatisch zum Wesentlichen schrumpft.
Kirchenkritiker bemängeln immer lauter die Finanzierung der Kirchen, die teilweise direkt aus den Landesetats erfolgt. Da fließen jährlich etliche Millionen. Wäre es Ihnen lieber, die Kirche hätte diese Mittel nicht nötig?
Die aktuelle Diskussion ist oft verzerrt. Es wird so getan, als finanziere der Staat eine Lobbygruppe überproportional, nämlich die Kirche. Das stimmt nicht. Wir haben eine subsidiäre Funktion. Als evangelische Kirche nehmen wir wie andere Organisationen auch Aufgaben in Kitas oder Schulen wahr, die sonst der Staat wahrnehmen muss. Er überträgt sie aber uns, weil er das Vertrauen hat. Und er kontrolliert auch, dass wir diese Aufgabe gut erledigen. Das ist der Grundgedanke der Zivilgesellschaft. Was wir und andere freie Träger bei der Bildung tun, ist für den Staat sogar günstiger, weil wir unsere Arbeit mit eigenen Mitteln unterstützen. Die Diskussion muss also erst einmal auf die Füße gestellt werden.
Aber die sogenannten Staatsleistungen sind nicht an konkrete Aufgaben wie Kitas oder Schulen gebunden.
Bei den Staatsleistungen unterstützt Berlin Weltanschauungsgemeinschaften "nach Größe und Bedeutung". Auch der Humanistische Verband wird unterstützt, mit 580.000 Euro jährlich. Wir als evangelische Kirche erhalten 7,69 Millionen Euro. Wenn Sie das umrechnen auf unsere knapp 700.000 Mitglieder und die 4.000 oder 5.000 Mitglieder des Humanistischen Verbands, dann wird der Humanistische Verband mit 120 bis 140 Euro pro Kopf unterstützt und unsere Kirche mit nur 11 Euro.
Im September besucht der Papst Berlin. Seine Verdienste um die Ökumene sind, gelinde gesagt, umstritten. Freuen Sie sich auf diesen Besuch?
Ich denke, es wird ein historisch wichtiger Besuch. Dieser Papst ist deutscher Theologieprofessor, er ist hier mit der evangelischen Theologie und Kirche aufgewachsen. Aber wir haben tatsächlich ein Problem in der Ökumene. Der damalige Kardinal Ratzinger hat im Jahr 2000 sehr deutlich gemacht, dass nur die römisch-katholische Kirche im eigentlichen Sinne Kirche sei. Das können wir theologisch nicht akzeptieren. Und ich erwarte jetzt vom Papst, dass er in Deutschland sagt, was die Reformation an Positivem für die Christenheit gebracht hat.
Immer wichtiger wird der christlich-muslimische Dialog. Viele evangelische Pfarrer äußern Enttäuschung darüber, dass Muslime oft wenig Interesse am Austausch zeigen. Mal radikal gefragt: Was bringt überhaupt ein Dialog, bei dem beide Partner für sich die alleinige Wahrheit beanspruchen?
Mir ist erst mal wichtig, die Probleme des Verstehens deutlich zu machen. Das hat die EKD mit der Schrift "Klarheit und gute Nachbarschaft" getan. Und wir müssen verteidigen, was in unserer Gesellschaft an Werten gewachsen ist. Ich habe das "Leitkultur" genannt, aber nicht im engeren Sinne einer christlich geprägten Kultur, sondern einer demokratischen, auf Dialog ausgerichteten Gesellschaft, die sich an den Menschenrechten orientiert. Zugleich müssen wir mit den muslimischen Mitbürgern ins Gespräch über unterschiedliche Glaubensvorstellungen kommen. Nehmen Sie die Lehre der Trinität: Es ist schmerzlich für mich, wenn Muslime denken, wir Christen glaubten an drei Götter. Das ist ein Missverständnis. Wenn wir über religiöse Themen sprechen, kann man Differenzen stehen lassen, aber auch Gemeinsamkeiten entdecken.
Lassen sich auch neue Gemeinsamkeiten entwickeln?
Erst mal müssen wir gemeinsame Themen finden. Was uns mit den Muslimen verbindet, ist etwa die Überzeugung, dass Religion ein Faktor der Öffentlichkeit ist, aber auch der Einsatz für die Armen. Wir teilen auch die Forderung, dass eine Gesellschaft einen Feiertag braucht. Ich weiß, dass Muslime sich mit engagieren, wenn wir uns für den Sonntag einsetzen, obwohl ihr Feiertag der Freitag ist. Weil sie unsere Überzeugung teilen, dass die Gesellschaft einen Feiertag braucht. Wenn erst der Sonntag fällt, wird es auch schwieriger, muslimische Feiertage zu verteidigen.
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