Anlaufende Debatte um Atomkraft in Japan: Lobby unter Druck

In Japan war ursprünglich der Bau einer Reihe von neuen Atomkraftwerken geplant - nach der Katastrophe von Fukushima werden die Vorhaben nun überdacht.

Bringt die ganze Branche in die Bredouille: Die Betreiberfirma des AKWs Fukushima. Bild: dpa

TOKIO taz | Die radioaktiven Verstrahlungen aus den Reaktoren von Fukushima haben in Japan eine vorsichtige Debatte über die Nutzung der Atomenergie ausgelöst. Forscher und Kommentatoren sprachen von einem Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Energieerzeugung aus Uran und Plutonium und verlangten eine Denkpause und ein Umsteuern in der Energiepolitik. Die zuständigen Beamten, Wissenschaftler und Unternehmen versuchen jedoch, sich mit dem Argument, die Ereignisse seien "jenseits der Erwartungen" gewesen, aus der Affäre zu ziehen.

Eigentlich sollen zusätzlich zu den 54 bestehenden Atommeilern bis 2020 neun und bis 2030 mindestens fünf weitere Reaktoren fertiggestellt werden. Doch diese Pläne könnten bald Makulatur sein. So hat der Stromversorger Chugoku Electric Power die Erdarbeiten für ein neues AKW am Seto-Binnenmeer bereits eingestellt, nachdem der Bürgermeister des Standorts Kaminoseki und der Gouverneur der Präfektur Yamaguchi den Konzern zur Zurückhaltung gemahnt hatten.

Ein hochrangiger Manager des Energiekonzerns Chubu Electric Power kündigte an, die Baupläne für einen sechsten Reaktor in Hamaoka zu überdenken. Die Anlage liegt mitten in der Tokai-Zone nahe dem Vulkanberg Fuji, wo Forscher seit langem ein heftiges Erdbeben erwarten. Der Stromkonzern hat das AKW für Erdstöße bis zu einer Stärke von 8,5 auf der Richterskala ausgelegt. Nun erklärte die zuständige Präfektur Shizuoka, die Vorbedingungen für den AKW-Bau seien hinfällig, weil das Beben vor elf Tagen viel stärker war.

Die Nuklearlobby weicht dieser veränderten Stimmung aus. "Die Situation kommt völlig unerwartet", zeigte sich Makoto Yagi überrascht, Präsident von Kansai Electric Power, der Nummer 2 der Branche hinter Tepco. "Wir haben die größten bekannten Tsunami einkalkuliert, aber unsere Überlegungen waren wohl nicht ausreichend." Der ehemalige Vizepräsident der Atomsicherheitsbehörde, Kenji Sumita, sieht die Ursache der Probleme im Alleingang von Tepco und der Agentur für nukleare und industrielle Sicherheit. "Das schwache Tepco-Krisenmanagement und administrative Strukturfehler gefährden die Sicherheit der Atomenergie", sagte Sumita.

Gegenwind erhält das Atom-Establishment von Nuklearingenieur Kenji Yamaji. "Die Voraussetzungen für die Förderung der Nuklearpolitik sind die Aufrechterhaltung der Sicherheit der Anlagen sowie das Vertrauen der Bevölkerung. Beide sind enorm beschädigt", meinte der Professor für Ingenieurwissenschaften an der renommierten Universität Tokio. Der Astrophysiker Satoru Ikeuchi von der Soken-Universität in Hayama kritisierte die Arroganz der Wissenschaft: "Erdbeben sind so häufig in Japan, dass man uns als ,Nation auf einem Stück Tofu' beschreibt. Trotzdem wurden 54 Reaktoren an die tsunamigefährdeten Küsten gebaut."

"Wert ihrer Anlage nicht zu beschädigen"

Professor Yamaji griff das Gewinnstreben von Stromversorger Tepco als wunden Punkt der Atompolitik an. "Unternehmen haben die Tendenz, Probleme aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu beurteilen." Das sei vermutlich der Grund dafür gewesen, warum Tepco die Reaktoren erst spät mit Meerwasser gekühlt hatte. Den Befehl hatte Premierminister Naoto Kan persönlich erteilen müssen.

"Tepco hat mit dieser Entscheidung gezögert, um den Wert ihrer Anlage nicht zu beschädigen", erklärte Akira Omoto, Ex-Tepco-Manager und Mitglied der Atomenergie-Kommission. Das aggressive Meerwasser macht die Reaktoren unbrauchbar. Firmensprecher Hiro Hasegawa redete sich damit heraus, Tepco habe den richtigen Zeitpunkt für den Einsatz von Meerwasser gesucht. "Dieses Desaster ist zu 60 Prozent von Menschen gemacht", zitierte das Wall Street Journal einen Beamten.

In dieses Bild passt ein bisher unbekanntes Geständnis Tepcos über gefälschte Wartungsberichte, das zehn Tage vor dem Erdbeben erfolgte. Laut einem Firmenbericht an die Atomaufsicht wurden 33 Teile an den sechs Atomreaktoren von Fukushima nicht ordentlich inspiziert. So seien das Kühlsystem einschließlich der Notstromgeneratoren für Reaktor 3, Pumpen für die Blöcke 1 und 2 sowie Generatorenteile für Block 4 ausgelassen worden. Ein Stromverteiler für die Temperaturkontrolle sei elf Jahre lang nicht untersucht worden. Bisher will die Atombehörde jedoch keinen kausalen Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Notkühlung herstellen.

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