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die wahrheitEisbär auf Halbmast

Tod eines Stars: Erschütternde Szenen auf der Beerdigung von Knut.

Tränennass trauert janz Berlin um seinen geliebten Eisbäre. Bild: dapd

BERLIN taz | Vom Zoologischen Garten schiebt sich ein nichtendenwollender Geleitzug bis hin zum Luisenstädtischen Friedhof an der Bergmannstraße. Fast elf Millionen Rentner sind es schließlich, die dem überraschend hopsgegangenen Eisbären Knut die letzte Ehre erweisen. Sämtliche Kirchenglocken läuten Sturm, als der populäre Petz im Grab von Gustav Stresemann beigesetzt wird, der dafür seine Ruhestätte räumen musste. Mit Tierkörperbeseitigungsanstalt braucht man den Leuten hier nicht zu kommen. Sosehr der Berliner den Menschen hasst, so sehr liebt er das Tier.

Bei der Trauerfeier spielen sich erschütternde Szenen ab. Fast übertönt das laute Schluchzen des Bundespräsidenten den Nekrolog "Candle in the wind", gewinselt von Herbert Grönemeyer. Eigenhändig zerschmettert Zoodirektor Blaszkiewitz drei neugeborenen Ozelotkätzchen am Sarg des verblichenen Flokatis die Schädel. Knut soll auch im Jenseits nicht allein sein.

Nach tausend Salutsalven aus schwerer Artillerie zieht die Trauergesellschaft zum Roten Rathaus weiter. Sirenen heulen, Autos hupen in Moll, der Berliner Bär hängt auf Halbmast. Wie vor dem Eingang zum Zoo wogt auch hier ein Meer von Blumen, Kerzen, Fischen und herzzerreißenden Dokumenten der Anteilnahme: "Wenn Knut tot ist, will auch ich nicht mehr leben", steht da zu lesen, "Love will bear us apart again", oder schlicht: "Warum?" Dutzende Selbstmörder werden leblos aus der weinenden Menge gezogen. Auf die vorsichtige Frage, ob das Gejammer angesichts der Ereignisse in Japan oder Libyen nicht ein wenig übertrieben wäre, reagieren die Anwesenden empfindlich: "Scheiß auf Libyen! Bestimmt hat sich Knut zu sehr über die Nachrichten aufgeregt!" gehört noch zu den ausgewogeneren Kommentaren.

Kommissar Wolfgang Koessling weist diese Theorie jedoch entschieden von sich. Der Leiter einer 37-köpfigen Sonderermittlungseinheit der Mordkommission (Soko "Tanzbär") tippt als Todesursache vielmehr auf eine Überdosis Drogen. Wieder und wieder führt er uns in seinem Büro in der Keithstraße den Film von Knuts letzten Sekunden in Zeitlupe vor: "Gucken Sie mal genau hin: Mit so einer Art Seitfallzieher mit halber Schraube plumpst das Vieh ins Becken. Was für eine spektakuläre Aktion - dafür war der normalerweise viel zu unsportlich!"

Knut - ein Junkie? Dazu passt nicht nur der letzte äußere Eindruck - zerlumptes Fell, Ringe unter den Augen, schleppender Gang -, sondern auch die Wahrnehmung erfahrener Stammbesucher des Bärengeheges. Demnach muss Knut allen Grund zu einer exzessiven Flucht aus der Realität gehabt haben. So soll er von den erwachsenen Weibchen Belinda (12) und Britney (23) massiv gemobbt worden sein.

"Die Weiber haben ihn fertiggemacht", bestätigt Charlotte Lisowski. Aber da macht es sich die Rentnerin mit Jahreskarte doch zu einfach. Denn zu artgerechter Haltung gehört auch die ausreichende Beschäftigung der normalerweise intelligenten Tiere durch aufgestellte Baumstämme, Sudokus oder Beachvolleyball. Sollte nun also endlich ein Umdenken stattfinden, hätte Knuts Tod am Ende doch noch einen Sinn gehabt.

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