MATTHIAS STÜHRWOLDT GRÜNLAND: Chillen in der Stube
Ich entspanne bei einer Tasse Filterkaffee. Meine Tochter braucht Notebook, Smartphone und Fernseher
Gern gebe ich zu, dass ich in mancherlei Hinsicht ein wenig altmodisch bin. Beispielsweise ärgert es mich ungemein, wenn ich mit jemandem telefoniere, und ich höre meinen Gesprächspartner im Hintergrund auf seiner Computertastatur herumhacken. Weiterhin finde ich es unmöglich, dass junge Leute beim Essen in geschlossenen Räumen ihre Mützen aufbehalten, als sei die Heizung kaputt.
Entspannung sieht für mich so aus: ein Becher Kaffee auf dem Küchentisch, eine CD im Player, ein wenig lesen, ein wenig Tagebuch schreiben. Schon während ich das schreibe, höre ich Homer Simpson „Langweilig!“ rufen. Vielleicht hat er Recht.
Wenn ich gelegentlich nachmittags meine Arbeit auf dem Hof unterbreche, um mir einen Filterkaffee zu kochen, treffe ich oft meine fünf Kinder an, wie sie nach der Schule in der Stube chillen. Kreuz und quer liegen sie auf dem Sofa, die Glotze läuft, und von den Fünfen haben bereits vier ein Smartphone am Start. Mit einem Bauernhandy, wie ich es mein Eigen nenne, spritzwassergeschützt und gülleresistent, würden sie sich nicht auf die Straße trauen. Auch ich bin ihnen peinlich. Ein Biobauer als Vater – es gibt Cooleres auf der Welt.
Besonders Nora, siebzehn Jahre alt, ist eine Meisterin im Multitask-Chillen. Sie sitzt meist direkt neben dem Kaminofen auf dem Sofa, auf ihren Knien das hochgefahrene Notebook, neben sich das vor sich hin summende Smartphone, der Fernseher ist natürlich auch an. Welch eine Energieverschwendung! Dreimal Unterhaltungselektronik für ein Mädchen ganz allein! Wenn ich dann noch sehe, was da in der Glotze läuft, dann muss ich schleunigst raus, um nicht richtig sauer zu werden. „Unterschichtenfernsehen!“, ruft es in mir. „Oh, Pabba, chill doch mal!“, sagt meine Tochter.
Da finde ich es fast beruhigend, dass auch Noras Fähigkeit, ihre Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertscreens zu überwachen, an Grenzen stößt. Notebook, Smartphone, Fernseher: Alles im Griff. Leider schafft sie es nicht, zwischendurch mal einen Holzscheit in den Kaminofen zu schmeißen, damit das Feuer nicht ausgeht, obwohl der Ofen mit einer extragroßen Scheibe ausgestattet ist, einem Riesendisplay sozusagen. Also fängt Nora irgendwann an zu frieren, weil das Feuer ausgegangen ist. Aus meiner Sicht gibt es nur eine Möglichkeit, solcherlei Geschehnisse zu verhindern: Der Ofen müsste Nora eine SMS senden oder bei Facebook posten, dass er bald ausgehen wird. Gewiss wüsste Nora dann, was zu tun sei. Keine Frage: Wir brauchen den schlauen Ofen. Smartfire. Voll der Burner sozusagen.
■ Der Autor ist Biobauer in Schleswig-Holstein Foto: privat
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