Kommentar Rolle der Türkei in Libyen: Ankara scheitert als Vermittler
Die Türkei, die im Nahen Osten gern das Image eines neutralen Vermittlers pflegt, hat sich in Libyen desavouiert. Die Wut der Rebellen verwirrt die Regierung.
E s ist das erste Mal, dass gegen den türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan in einem arabischen Land protestiert wird. Nachdem in Bengasi, im befreiten Ostlibyen also, Demonstranten ihren Ärger über Erdogan auf der Straße lauthals herausgeschrien hatten, fragte sich die türkische Regierung denn auch gleich, wer diese Protestler wohl engagiert haben könnte. So unwahrscheinlich kam es den Regierenden in Ankara vor, dass die Wut authentisch seien könnte.
Doch nachdem die Rebellen einem türkischen Schiff mit Hilfsgütern auch noch die Einfahrt in den Hafen von Bengasi verweigerten, weil man von Freunden Gaddafis auch keine Hilfe annehmen wollte, muss man sich in Ankara wohl eingestehen, dass die Schaukelpolitik gegenüber Libyen erst einmal gescheitert ist.
Zwar hat Erdogan einen Friedensplan für das Land präsentiert, der in einem ersten Schritt einen umfassenden Waffenstillstand vorsieht und damit die Möglichkeit einer humanitären Versorgung der Bevölkerung schaffen soll. Doch die provisorische Regierung in Bengasi hat sofort erklärt, ohne den vorherigen Abgang der Gaddafi-Familie sei an Derartiges nicht zudenken. Die Türkei, die im Nahen Osten gern das Image eines neutralen Vermittlers pflegt, hat sich in Libyen desavouiert. Sie gilt als verkappter Parteigänger Gaddafis.
JÜRGEN GOTTSCHLICH ist Türkei-Korrespondent der taz.
Für die Aufständischen ist die Türkei dafür verantwortlich, dass die Luftangriffe zu spät begonnen wurden und nun, nachdem die Nato das Kommando hat, viel zu spärlich erfolgen. Erdogan muss jetzt die Erfahrung machen, dass er im Nahen Osten als jemand gesehen wird, der zuallererst eigene ökonomische Interessen vertritt. Die türkische Bauindustrie ist in Libyen seit zwanzig Jahren im Geschäft. Allein in den vergangenen zwei Jahren wurden Kontrakte über 7 Milliarden Dollar abgeschlossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball