piwik no script img

Pflichtenheft für den Wahlsieger

SOZIALES Die Arbeitnehmerkammer präsentiert Forderungen zur Wahl. Der neue Senat solle weniger auf's Wirtschaftswachstum achten - davon profitierten Beschäftigte kaum

Die Bezahlung der Hafenarbeit ist Wahlprüfstein. Mohr-Lüllmann posiert aber ohnehin lieber mit Models statt echten Malochern Bild: Bleyl

Was dem Fernsehen die Quote, das ist Regierungen das Wirtschaftswachstum. Dieser Maßzahl nach steht Bremen bestens da: Von 2000 bis 2009 schwoll das Inlandsprodukt hier um 8,1 Prozent an - fast doppelt so viel wie im Bundesdurchschnitt. Gute Noten mag die Arbeitnehmerkammer dem Senat deswegen noch lange nicht geben: "Die Wirtschaft ist hier überdurchschnittlich gewachsen. Doch dahinter stecken Entwicklungen, die keineswegs erfreulich für alle sind. Nur wenige Menschen profitieren von der guten Konjunktur", sagt Kammer-Geschäftsführer Ingo Schierenbeck.

Gestern stellte die Kammer ihre Forderungen zur Landtagswahl vor. "Wachstum muss sich wieder lohnen", heißt der Katalog, an dem sich der nächste Senat, wenn es nach Schierenbeck geht, abarbeiten möge.

"Früher hieß es immer: Arbeit Arbeit, Arbeit - das sei a priori gut. Heute ist aber klar: Es müssen auch Jobs sein, die zu einem gesicherten Einkommen führen", sagt er. Die wachsenden Unternehmensgewinne der letzten Jahre seien erkauft worden mit Leiharbeit und prekären Jobs.

Die Hafenwirtschaft sei so ein Fall: "In der Krise hat man die Tariflöhne im Hafen gesenkt", sagt Schierenbeck. "Jetzt hat sich die Konjunktur erholt und die Hafengesellschaften müssten wieder so viel zahlen wie vorher." Das tun sie aber nicht. Schierenbeck sieht deshalb den Senat in der Pflicht - denn dem gehören große Teile der bremischen Hafengesellschaften. "Das Land muss prekäre Arbeit in seinem Verantwortungsbereich verhindern und auf Gesetzesänderungen hinwirken, die prekäre Beschäftigung vermeiden", steht in dem Kammer-Papier.

Dabei hat Rot-Grün genau dies getan: Erst kürzlich brachte Bremen eine Bundesratsinitiative ein, um das Ausufern von Leiharbeit zu stoppen. "Diese Initiative kam unseren Vorstellungen schon recht nahe", sagt Schierenbeck. Die CDU/FDP-Mehrheit in der Länderkammer bügelte den Vorstoß allerdings ab. "Jetzt haben sich aber die Mehrheitsverhältnisse geändert, das muss deshalb wieder auf den Tisch." "Sehr begrüßt" hat Schierenbeck den Bürgerschaftsbeschluss, demzufolge Bremen nur noch Firmen beauftragen darf, die mindestens 8,50 Euro pro Stunde bezahlen. Ab diesem Wert ist ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer nicht mehr auf Hartz IV angewiesen. Doch trotz solcher Fortschritte sei prekäre Beschäftigung entschiedener zu bekämpfen. "Die Sensibilität muss da noch geschärft werden." Für erfolgversprechend hält Schierenbeck vor allem die Qualifizierung Arbeitsloser. "Wir haben hier 35.000 Erwerbslose, gleichzeitig wird immer lauter über Fachkräftemangel geklagt." Weil bundesweit die Arbeitslosenzahlen sinken, hat der Bund seine Mittel für die Qualifikation Jobloser stark gekürzt. "Hier muss jetzt das Land Geld in die Hand nehmen." Vor allem hat Schierenbeck da die über Fachkräftemangel klagende Gesundheits- und Pflegewirtschaft im Blick: "Das wird boomen und es gibt im Gegensatz zur Exportwirtschaft keine Konjunkturabhängigkeit." Deshalb solle Bremen sich als Standort von "Altersheimen, Pflegeheimen und ähnlichem in Stellung bringen." Gleichzeitig müssten aber die Löhne steigen: "Noch sind die Bedingen da semioptimal." Auch zur Stadtentwicklung äußert sich die Kammer. In gleich mehreren Studien hat sie festgestellt, dass es immer weniger Viertel gibt, die sozial durchmischt sind. "Wir brauchen günstige Wohnungen nicht nur dort, wo es schon welche gibt", sagt Schierenbeck. Das spalte das soziale Gefüge der Stadt. In der Überseestadt oder der "Umgedrehten Kommode" sei nur teurer Wohnraum entstanden. "Wir erwarten, dass das anders wird. Im Europahafen oder auf dem Klinikum Mitte müssen günstige Wohnungen entstehen. Da ist die Stadtentwicklung gefordert."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • W
    Wiebitte

    Was Herr Schierenbeck hier fordert, ist leider genau das Konzept, das Bremen in die Situation gebracht hat, die es auch schon in Brasilien usw. gegenüber dem IWF, oder in Griechenland, Irland, Portugal gegenüber der EU gibt:

    Um die Verschuldung zu mindern, die sich aus der Forderung nach immer mehr Geld ohne jede Frage nach dem Ergebnis und der Sinnhaftigkeit der Ausgaben ergibt, muss sich das Land Kapitalinteressen vollständig unterordnen. Und nichts Anderes macht Rot-Grün - wie Herr Schierenbeck richtig feststellt: bundesweit überdurchschnittlich!

     

    Wenn im Bereich Häfen anständige Löhne gezahlt werden sollen, wäre doch das Normalste, die Preise in dem Bereich leicht zu erhöhen, um über den Hebel Lohnquote angemessene Löhne zahlen zu können. Schließlich sitzen die Landesvertreter in den Aufsichtsräten. Das Gegenteil wird gemacht: Die Gewinne der Im/Exportwirtschaft werden durch billige Infrastruktur gestützt - ohne Ergebnis für die Löhne oder den Arbeitsmarkt.

     

    Wenn die Zuschüsse für die Fortbildung von Arbeitslosen gekürzt wird, wäre es vielleicht an der Zeit, diese inhaltlich zu überprüfen: Wenn der Pflegesektor Arbeitskräfte braucht, dann soll er doch das Normalste machen, was es gibt: Junge Leute und Quereinsteiger ausbilden!

    Wieso ist das Landesaufgabe? Weil Leute in Maßnahmen der Jobcenter nicht als arbeitslos gelten, werden die unsinnigsten Maßnahmen weiter ausgebaut.

     

    Statt dessen wäre es wohl sinnvoller, Aufträge nicht nur an einen Mindestlohn zu knüpfen, sondern auch an eine Maximalquote von Leiharbeit in den Betrieben.

    Eine Ausweitung der Leiharbeit ist automatisch "Wirtschaftswachstum", weil an einer Arbeitsstunde 2 Firmen Umsatz und Gewinn machen, während der Durchschnittslohn sinkt.

     

    Insgesamt wäre es vielleicht sinnvoller, wenn die Arbeitnehmerkammer einmal sagt, was hier wirklich läuft: Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich unter Rot-Grün deutlich geöffnet. Jede Forderung nach mehr Geld im Sozialbereich statt gezielterer Hilfe ist eine nach Ausbau der Infrastruktur von Armut.

     

    Die Forderung muss aber anständig bezahlte Arbeit für Alle sein.