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Kommentar zur Krise der LinksparteiEffektive Selbstzerstörung

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Die öffentliche Selbstzerfleischung der Linken-Spitze ist nur ein Symptom für die tiefe Krise der Partei. Entscheidende Macht- und Programmfragen sind ungeklärt.

N icht mehr die Abschaffung von Hartz IV scheint seit einigen Monaten das wichtigste Ziel der Linkspartei zu sein, sondern ihre möglichst effektive Selbstzerstörung. Ob es die Geisterdebatte über Oskar Lafontaines Rückkehr ist oder gegenseitige Beschimpfungen ihrer Spitzenleute, mit der sie unverhohlen Verachtung füreinander dokumentieren – offensiver kann eine Partei den eigenen Niedergang kaum betreiben.

Dabei handelt es sich bei all dem nur um Symptome, die die tiefe Krise der Partei offenlegen. Die Linke-Spitze im Bund und führende Akteure in den Ländern benehmen sich wie Kinder, die sich die Augen zuhalten, um das Fürchterliche nicht sehen zu müssen. Die Linkspartei befindet sich in einer fatalen Erstarrung, weil entscheidende Machtfragen ungeklärt sind.

Zunächst die programmatische: Weg mit Hartz IV, kein Krieg, keine Privatisierungen, mit diesem Dreiklang lassen sich im Jahr 2011 nicht flächendeckend westdeutsche Landtage erobern. Jeder Versuch, sich breiter und intellektuell anspruchsvoller aufzustellen, ist bisher gescheitert, weil die Positionen von ostdeutschen Pragmatikern und westdeutschen Ex-WASG-Leuten unvereinbar sind. Deshalb dümpelt auch die Arbeit am Grundsatzprogramm zäh vor sich hin. Weil sie sich nicht entscheiden kann, ist die Partei zum kleinsten gemeinsamen Nenner verdammt.

anja weber
Ulrich Schulte

ULRICH SCHULTE leitet das Inlands-Ressort der taz.

Ähnlich sieht es beim Spitzenpersonal aus. Eine genau austarierte, paritätisch besetzte Kombo, angeführt von Klaus Ernst und Gesine Lötzsch, soll alle Nischen spiegeln und bedienen. Dass diese Führung mit der Aufgabe völlig überfordert ist, der Partei Ideen, eine Vision und damit eine Zukunft zu geben, ist dabei irrelevant.

Die Gefahr, dass die Partei an diesen Konflikten zerbricht, ist real; deshalb ist es verständlich, dass sie sie bis zum letzten Moment ignoriert. Doch die vergangenen Wochen haben gezeigt, wie zersetzend diese Selbstsuggestion wirkt. Und wie nötig der richtige Streit ist.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

14 Kommentare

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  • S
    Sannio

    Finde ich schon abenteuerlich, die Behauptung, dass mit dem Dreiklang kein Krieg, keine Privatisierung und weg mit Hartz IV keine Wahlen gewinnen lassen.

    Im Umkehrschluss müsste man den Herren Kommentator fragen, warum?! Ist Krieg besser geworden, sind Privatisierungen keine neoliberale Ideologie vom schwachen Staat und ist Hartz IV jetzt sozialer und effektiver im Sinne der Arbeitsuchenden, sprich verbessert wirklich ihre Chancen?

    Nein, die Gründe liegen woanders in einer konsequenten Medienblockade und bashing.

    Und solange Erdrutschverluste der SPD unter Beck als Sieg gefeiert werden, muss man einfach mal die Wahlergebnisse der Linken relativieren.

    Die Führung scheint allerdings überfordert und mit der bastrusen Porsche-Ernst Kampagne und Kommunismus-Debatte tat die Presse ihren Teil dazu. -Man darf ungestraft von irgedwelchen "nutzlosen" Kopftuchmädchen schwadronieren, sich aber in einem interlektuellen Beitrag nicht über alternative Gesellschaftsmodelle äußern.-

    Ein tiefgreifende Disskusion auch in der Erweiterung von Themen, könnte allerdings angebracht sein.

  • P
    Panskihb

    @Tuco

    Super, bester Komentar, volle Zustimmung.

    Gruß

    Panskihb

  • A
    Andreas

    Stimmt doch gar nicht. Die Programmdebatte läuft gut und mit hoher Mitgliederbeteiligung. Ich glaube, hier soll eher etwas durch die Medien herbeigeredet werden. Die Frage, wer passt sich eher an den Mainstream an, um vernünftig zu erscheinen und Wahlerfolge für die Partei zu erreichen - oder wer ist eher an Inhalt und wirklicher Veränderung interessiert, diese Frage beschäftigt die sogenannte "Linke Bewegung" doch schon seit den 68'ern. Egal ob man die Lager nun "Realos" und "Fundies" nennt oder "Pragmatiker" und "Dogmatiker". Diese "Teile und Herrsche" Politik hat sich doch bewährt, Grüne wie auch diese Zeitung sind doch zahm geworden! Heute wie damals geht es nur um Spaltung und die Verhinderung einer wirklichen Alternative zum Kapitalismus. Das Problem dabei ist nur: Der Kapitalismus entledigt sich seiner Alternativen bis er von selber kollabiert und was dann?

  • T
    thafaker

    "Denn bei den sogenannten Pragmatikern und Ostalgikern handelt es sich um den stalinistischen SED-Kern der Partei, der gerne auch mit der Brechstange gegen den politischen Gegner vorgeht."

     

    Sind die nicht schon alle tot oder kurz davor? Immerhin sind schon 21 Jahre vergangen. Falls nicht, wird sich das Problem in den nächsten 10 Jahren von selbst erledigen.

     

    Aber meiner Meinung nach wird die Linke auf Dauer zerrieben zwischen SPD und Grüne. Da die Ziele der Linke und der SPD gar nicht so weit auseinander liegen, wäre ein Fusion zwischen beiden Parteien mehr als sinnvoll. Programmatisch liegen beide Parteien, wie oben schon gesagt, gar nicht so auseinander und die 40x Marke für eine linke Partei wäre wieder möglich.

  • T
    Tuco

    @M Darge: Glaub es oder nicht, aber es gibt auch im Osten viele junge Leute, die sich engagieren!Die Altherrenriege hat doch längst ausgedient! Und selbst die waren beim besten Willen keine Stalinisten, sind wir denn hier beim Fokus oder der jungen Freiheit wo man nur von rotlackierten Faschisten seiert?

     

    @Souverän: Wer zur Hölle will denn Sozialdemokraten? Die Linke soll doch gerade DIE Alternative zur neoliberalen SPD sein!

     

    Ich kann Hans nur zustimmen, ein Problem stellen die enttäuschten CDU- Wähler dar, die ganz sicher nicht die Linke, sondern SPD und Grüne wählen. Das lässt beide Parteien stärken wirken als sie in Wahrheit sind! Eigentlich macht die Linke sehr viel richtig und inhaltlich ist sie die glaubwürdigste Partei. Sie hat nur keine Lobby, schon gar nicht in der Taz.

    Man schaue sich doch mal eine Rede von Gysi an, bevor man irgendeine Suppe von Sozialdemokraten und SED faselt.

    http://www.youtube.com/watch?v=-AYPep_CL1Y

     

    Eines noch, ich kann mit diesen Bezeichnungen Realo oder Pragmatiker nichts anfangen! Es klingt als würden anderen Positionen nicht real oder durchsetzbar sein. Das stimmt nicht!

  • S
    Souverän

    Eine Gesellschaft die stärker gesellschaftlich ausgerichtet als die skandinavischen Mischwirtschaften und demokratisch ist, wäre anzustreben - also wachstumsstärker, sozial gerechter und widerstandsfähiger gegen gesamtwirtschaftsfeindliche Ideologien wie den Neolliberalismus. Doch mit autoritären Ost-Linken und utopistischen Westlinken können die wenigen Sozialdemokraten in der Linken das nicht durchsetzen.

  • T
    Tuco

    Jetzt geht das Linken-bashing in der Taz wieder los...Naja zugegeben, die Parteispitze ist nicht gerade gut besetzt, besonders wenn ich an Klaus Ernst denke. Dennoch sind mir die Linken 1000 mal lieber, als all diese opportunistischen Grünen. Es gibt bei vielen Linken noch etwas, was die Grünen vor langer Zeit über Bord geworfen haben- Idealismus.

  • MD
    M Darge

    Dem Autor ist weitgehend zuzustimmen, doch die von den Medien normiert Bezeichnung "ostdeutschen Pragmatiker und westdeutsche Ex-WASG-Leute" ist zu ungenau. Denn bei den sogenannten Pragmatikern und Ostalgikern handelt es sich um den stalinistischen SED-Kern der Partei, der gerne auch mit der Brechstange gegen den politischen Gegner vorgeht. Umgekehrt sind die WASG-Leute nicht alle aus dem Westen. Vielmehr handelt es sich um Sozialisten, die Glasnost und Perestroika, in Leipzig 1989 an die Reform des Sozialismus geglaubt haben. Zu den WASG-Leuten im Westen gehören ehemalige Eurokommunisten, die von der SED mit Mordkommandos verfolgt wurden.

     

    Bis heute wird die Mär verbreitet, es wären Gründungsschwierigkeiten, die die Linke ausbremsen - oder gar Einfluss von außen. Doch in Wahrheit werden in der Partei dauerhaft unvereinbare Ziele vertreten. Die Vereinigung PDS / WASG war ein Fehler, der sich bitter rächt. Größe allein kann nicht alles sein. Auch wenn Ernst bisher nicht überzeugen konnte, um die LINKE zu einer gesamtdeutschen Partei zu machen, muss der WASG-Flügel an Bedeutung gewinnen. Die Ostalgiker stellen zwar die Mehrheit der Partei, doch ihre DDR scheiterte. Sie scheiterte nicht nur, sondern zogen den gesamten Ostblock mit in den Abgrund. Jetzt wäre die Zeit, wenn ehemalige PDS-Leute einfach mal die Klappe halten, um neue Leute dran zu lassen.

  • DD
    Der doppelte Erich

    Selbstzerfleischung ist ein sehr altes Kriegsleiden der Linken, insbesondere der deutschen Linken.

     

    Das als Selbstfindungsprozess einer jungen Partei zu bezeichnen, beschreibt wirklich nicht die Realität.

     

    Zur Erinnerung: Die SED/SED-PDS/PDS/Die Linke.PDS/Die Linke gibt es schon seit 65 Jahren.

  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    Der neurologisch bedingte Projektion und "Traum"charakter, oft nur ganz milde durch inner Kohärenzbedingungnen "kontrolliert", ist doch selbst unter Journalisten zu zu unbekannt, als das "Phantasie an die Macht" nicht ins "Perpetuierung von wunschbesetzten Prejorativen" nicht der Durchschnitt mit kleiner Standardabweichung wäre.

    Richtig, so auch in diesem Falle des Kommentars.

     

    Nun, die König Salomon Geschichte ist Ostern zu zu bekannt, als dass eine "instinktive" Applikation auf die LINKE irgendwie verhinderbar wäre.

     

    TAZ, du hast den Armen, Entrechten, Engeigneten, Prekären, Zensieren vom radioaktiven Zerfall bedrohten (nicht nur dem eigenen!) beizustehen!

    Die gibt es parlamentarisch nur bei den LINKEN.

     

    Imperativ der Gegenmacht!

     

    Ganz ohne Erkenntnis und zutreffende Propositionen geht es da nicht!

    Da wird mal wieder "kaputtgespart", an der "Phantasie", meist zum komparativen Vorteil des vor "Schadenfeude Kaputtlachens" (auch zum eigenen Schadens).

     

    Amüsieren wir uns doch politisch zu Tide.

    Nicht nur im TV.

  • TB
    Thorsten Büchner

    Die Linkspartei Ost ist ideologisch und strukturell bis heute stramm auf SED-Kurs. Die Linkspartei West treiben vor allem Antisemitismus und ein diffuser Hass auf die westliche Demokratie. Der Zerfall dieser Partei ist deshalb ein Segen für die politische Linke in Deutschland.

  • B
    bempo

    Erinnert mich an das, was in über die Grünen in deren Anfangszeiten geschrieben wurde... Geschichte wiederholt sich, nur das auch die taz nun kräftig mitunkt

  • A
    Anna

    @ Hans

     

    Na denn prost!

    Solange überaus anschauliche Graphiken, wie die oberen und unteren Einkommen konsequent auseinanderdriften, in der Zeit veröffentlicht werden und nicht auf den Wahlplakaten der Linkspartei, solange wähle ich zwar trotzdem sicher nicht die FDP.

     

    Aber die Linke ganz genau so wenig; also niemals.

  • H
    Hans

    ich würde die These nicht zu 100 Prozent teilen, weil die Linkspartei eine relativ neue, junge Partei ist, die sich selbst noch finden muss. Bislang sorgte eine bornierte, Hartz-IV-SPD für Erfolge, jetzt muss die Partei tiefer schürfen.

    Und tut dies erst Mal in der Form einer Personaldebatte, die sich vor allem auf Ernst und Loetzsch konzentriert, weil die beiden eben schlechter ziehen, als Gysie, Lafontaine oder andere.

    Das eigentliche Problem der Linkspartei heißt aber Abstieg der CDU/FDP und der produziert Rot-Grün als Alternative - automatisch, ohne große Anstrengung der SPD oder der Grünen. Dagegen kann sich die Linkspartei nicht in Stellung bringen, zumal die Gewerkschaften sich bei Hartz-IV/Armut/Arbeitslosigkeit immer noch zurückhalten.

    Die Linke muss sich jetzt aus eigener Kraft ins Zentrum der Debatte bringen.