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Kommentar Eisenbahn-MarkthalleEine Chance verdient

Kommentar von Kristina Pezzei

Die neuen Betreiber der Kreuzberger Eisenbahn-Markthalle setzen auf kleinteilige, regionale Angebote. Mit "Bionade-Boheme" hat das nichts zu tun.

K aum ist die Entscheidung über die Zukunft der Kreuzberger Markthalle gefallen, gibt es die ersten Reflexe: "Hilfe, die Bionade-Boheme kommt!", schallt es aus der sehr linken Ecke. "Der Aldi verschwindet - das Einzige, wo wir einkaufen können!" Die neuen Betreiber, ein Bündnis aus dem Kiez, haben ein kleinteiliges Marktkonzept entworfen. Sie wollen regionalen Anbietern Stände zu günstigen Mieten geben. Das hat eine Chance verdient.

Gutes Essen muss nicht teuer sein. Wer regional einkauft und saisonal, spart Geld und entscheidet sich für Lebensmittel, die kurze Wege hinter sich haben und damit eine gute Energiebilanz. In der Regel sind sie zudem weniger aufwändig behandelt, sie müssen ja nicht wochenlang auf Schiffen liegen. Genau dieses Konzept wollen die Markthallen-Betreiber ausprobieren.

Mit der Luxus-Bio-Einstellung der Schickeria hat das wenig zu tun. Ja, die Biomango aus Peru ist teurer als die Aldi-Mango. Tomaten und Erdbeeren aus dem Biomarkt sind im Januar für den Durchschnitt unerschwinglich. Aber: Es ist absurd, im Januar Erdbeeren zu essen. Wer das möchte, soll ruhig zahlen.

Insofern ist das Konzept eine Chance, das Bewusstsein für regionale und natürliche Kreisläufe neu zu wecken. Die Unverbesserlichen werden weiter ungebremsten Lebensmittelspaß wollen, je nach Geldbeutel bei Aldi oder im Bioladen. Hoffen zumindest soll erlaubt sein, dass einige beginnen, nachzudenken: wo Essen herkommt, wie Preise zustande kommen. Und welche Rolle wir dabei spielen.

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4 Kommentare

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  • GN
    Graf Nitz

    Viellicht könnte ja die Antifa, der Verein der Verfolgten des Naziregimes, die LINKE und der Maseratitreberhilfeverband eine Kooperation mit Aldi verhandeln?

     

    Nachdem der Feind der vorgenannten Gruppen ja nicht mehr Flick in seiner gepanzerten S-Klasse ist, sondern der Arbeitsplatzwegnehmer in der Multimediaagentur, könnten die sich doch einfach mit der "old economy"/"old society" verbünden.

  • C
    Czimmer

    Abgesehen davon, dass eine "konkrete Utopie" ein Paradox ist, wird der erzieherische Anspruch der besserverdienenden grünen Bio-Fraktion zur Belastung auch für den sozialen Frieden. Von den Unterprivilegierten den Konsum von Bioprodukten bei gleichzeitiger Reduzierung der Ansprüche zu fordern, ist das zynische Niveau eines Thilo Sarrazin oder eines Frank Steffel. Eure Selbstgefälligkeit seit Fukushima ist zum Kotzen!

  • SB
    strawberry bolle

    warum das beklagen des verlustes einer billigen einkaufsmöglichkeit eine "sehr linke stimme" sein soll, ist mir nicht klar. auch die politische mitte hat in diesem kiez nicht viel geld, und erst recht nicht genug, um die waren des täglichen bedarfes in bio zu kaufen. ich sehe das an meiner eigenen haushaltskasse - und ich versuche trotz prekarisierung auf bioprodukte zu achten.

     

    was die autorin hier vielmehr vorschlägt, ist eine klassistische öko-erziehungsdiktatur: die, die kein geld haben, dürfen im januar keine erdbeeren essen - die die das geld haben, natürlich schon. da müssen dann die ärmeren über regionale kreisläufe nachdenken - das freut die autorin, die offensichtlich von der dummheit der unterschicht ausgeht, die hemmungslos "unverbesserlich" nicht auf die ernährung achtet - im gegensatz zu der bewußten oberschicht - die sich dann aber auch mal die erdbeeren leisten darf - weil sie so bewußt sind, und alles im biomarkt einzukaufen.

    vielleicht sollte die autorin, die offensichtlich zu den moralisch "besseren" gehört, nicht nur über die regionalen kreisläufe des essens nachdenken, sondern auch über die regionale verdrängung von ärmeren menschen durch menschen, die sich leisten können, im januar erdbeeren im biomarkt zu kaufen. umweltbewußtsein IST eine Klassenfrage - in diesem sinne: bio-erdbeeren für alle!

  • X
    xonra

    "Links" muss nich billich sein. So langsam möchte ich, von den zitierten "Linken" aus dem Kiez, mal einen Lebensentwurf sehen/hören/lesen, dem ich auch etwas abgewinnen kann. Die Kämpfe müssen an der richtigen Stelle geführt werden.

    Die Halle ist jedenfalls aus meiner Sicht, ein Ort für lebendige und konkrete Utopien, jenseits von Aldi, KIK und Drospa.