Kolumne Geräusche: Im Schallschutz des Applauses

Meine Bronchitis suchte mich nicht im warmen, sicheren Zuhause Heim. Sie überfiel mich im klassischen Konzert.

Quälend geröcheltes Abhusten in vollgeschwitzten Laken unter delirierend fiebrigen Verhältnissen, das ist an sich schon eine existenzielle Erfahrung. Noch existenzieller gerät diese Erfahrung, wird sie einem nicht zu Hause zuteil, sondern in einer an Stille nicht uninteressierten Öffentlichkeit.

Vor genau einer Woche war, wie ich heute weiß, meine Bronchitis "im Anmarsch". Tatsächlich fühlte es sich eher an, als begänne eine lästige Untermieterin mit ersten Laubsägearbeiten in meiner Lunge, als ich gerade in der Komischen Oper hockte.

Eine Serenade für Tenor, Horn und Streichorchester von Benjamin Britten und "Die Planeten" von Gustav Holst, mit einem kurzen Stück von Arvo Pärt als schwingender Hängebrücke zwischen den Welten, standen auf dem Programm. Ich saß in der vierten Reihe, Mitte. Guter Platz, feine Sache. Dachte ich.

Denn kaum ertönte zart und flüchtig das Horn, verspürte ich ein ungefähres Kratzen im Hals. Die Musik war zu leise, als dass ich mich auch nur hätte räuspern können. Das wagte ich erst, als die Streicher einsetzten. Nun war das Kratzen einem dezenten Pfeifen gewichen, das mit meinem Atem an- und abschwoll. Es klang, als würde ich wie ein alter Motor irgendwo Nebenluft ziehen. Verdammt. Ich wartete ab und hustete mich im Schallschutz des Applauses frei.

Mit dem deprimierenden Ergebnis, dass das Kratzen stärker geworden war, ein Jucken in der Brust sich dazugesellt hatte und das kuriose dissonante Pfeifen und Fiepen nun mehrtönig erklang - was, offen gestanden, nicht wirklich mit den würdigen A-Moll-Akkorden des estnischen Komponisten korrespondierte.

Hatte der Herr neben mir eben sein Hörgerät abgeschaltet? Ich fühlte mich jedenfalls wie eine lecke Dampfmaschine. Erste Schweißperlen. Jetzt ging mir auch auf, dass ich mit meinem Platz in der Mitte nicht so ohne Weiteres die Flucht ergreifen konnte. Rechts und links von mir lauschten oder schlummerten aufgereiht gute 400 Lebensjahre distinguierter Kulturgenuss, die sich von mir nicht so ohne Weiteres würden verscheuchen lassen. Endlich wieder Applaus, auch andere Leute husteten, aber niemand so ansteckend keuchend wie ich, als hätte ich mich aus einem Schweizer Lungensanatorium hierher verirrt. Mehr Scheißschweiß, den Damm meiner Brauen überflutend. So brannten mir die Augen, während Holsts "Mars" durch das Auditorium donnerte, und unter Verrenkungen tastete ich nach einem lindernden Pfefferminzkaugummi in meiner Hosentasche. Vergeblich, der klebte dort schon fest. "Neptun", das letzte Stück, besteht nur aus Flöten, Harfen sowie einem ätherischen Chor vor unendlicher Stille.

Ich kauerte dort mit hochrotem Kopf, tränennassen Augen und laufender Nase in einem vollgeschwitzten Sessel, die Hände in die Lehne gekrallt, flach atmend, ein Folteropfer, dem Wahnsinn nahe und kurz vor dem Ersticken. Herrlich.

Nächstes Mal gehts wieder auf ein Rockkonzert.

Text: "The kids caught bronchitis/ The space heater ran out of diesel" (Roger Waters, "The Pros And Cons Of Hitch Hiking")

Musik: Wenn Husten sich löst.

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