Architekt Kjetil Trædal Thorsen über demokratisches Bauen: "Kultur muss einen großen Fußabdruck haben"

Öffentliche Kulturbauten sollen flach, private hoch aufragend sein: Der norwegische Architekt Kjetil Trædal Thorsen vom Büro Snøhetta über die demokratische Anmutung seiner Osloer Oper und der Hamburger Elbphilharmonie.

Eine "Verlängerung der Stadtlandschaft" - der jeder aufs Dach steigen darf: Oslos Oper. Bild: dpa

taz: Herr Thorsen, die Osloer Oper ist gezielt auf ihr Ambiente hin konzipiert. Wie haben Sie das gemacht?

Kjetil Trædal Thorsen: Die Osloer Oper war ja als eine Initialzündung zur Entwicklung eines brach liegenden Hafengebiets gedacht, das lange nicht zugänglich war. Wenn man da eine Institution hineinsetzt, stellt sich natürlich die Frage, ob man dieses Areal wirklich öffnen oder noch einmal privatisieren will.

Privatisieren? Die Osloer Oper wurde doch komplett vom Staat finanziert.

Ich meine eine ideelle Privatisierung. Denn gerade ein Opernhaus wird im Allgemeinen nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung genutzt.

Das wollten Sie verhindern?

Ja. Also haben wir ein Opernhaus gebaut, das zugleich ein Platz beziehungsweise eine Landschaft für die Osloer und überhaupt alle Norweger ist. Wir haben dabei zwei Dinge kombiniert: ein Opernhaus und ein Dach, auf dem man spazieren gehen kann, ohne Eintritt zu zahlen.

Warum war Ihnen das wichtig?

Weil ich Architektur als soziales Werkzeug begreife. Sie soll Gesellschaften verändern - oder besser machen.

Aber gehen die "Dach-Spaziergänger" auch in die Oper?

Vielleicht nicht beim ersten und nicht beim zweiten Mal. Aber irgendwann ist die Neugier zu groß, und dann geht man auch hinein.

Glauben Sie, dass Sie so Abonnenten gewinnen?

Untersuchungen zeigen, dass das das bereits der Fall ist. Es kommen mehr Menschen als an den vorigen, allerdings recht versteckten Opern-Standort. Und es kommen mehr Jüngere.

Die Osloer Oper war im Vorfeld sehr umstritten.

Ja, es wurde sehr viel diskutiert: wo sie liegen und wer zahlen soll. Ob es das wert ist, ob wir überhaupt eine Oper brauchen - und so weiter.

War es eine spezifisch norwegische Diskussion?

Ein bisschen schon. Denn in Norwegen ist jeder Verdacht der Elitebildung suspekt. Wir sind eine Gesellschaft, die Demokratie sehr groß schreibt und wo die Beteiligung der Bevölkerung sehr rege ist, wenn es um solche Dinge geht. Und grundsätzlich gibt es da schon die Haltung: Ein Krankenhaus muss man haben, eine Oper kann man haben. Wir vom Architekturbüro Snøhetta finden: Sie muss - wie Kultur überhaupt - einen großen Fußabdruck haben. Sehr wichtig ist dabei die Horizontalität des Gebäudes.

KJETIL TRAEDAL THORSEN 53, hat 1987 das internationale Architekturbüro Snøhetta mit gegründet. Seit 2004 hat er an der Innsbrucker Universität eine Professur für experimentelle Architektur.

Warum?

Weil es bedeutet, dass es viel öffentlichen Grund besetzt, sich viel Raum nimmt. Dass es quasi eine Verlängerung der Stadtlandschaft ist - im Fall der Osloer Oper ja bis in den Fjord hinein. Das Gebäude beginnt unter Wasser, und man kann auch bis an die Wasserkante spazieren.

Kommerzielle Bauten dagegen …

… sollten meiner Ansicht nach so wenig öffentlichen Grund wie möglich besetzen und eher in die Höhe wachsen. Kultur aber sollte horizontal und ganz konkret für alle zugänglich bleiben.

A propos Bodenständigkeit: Warum haben Sie keinen norwegischen, sondern teuren italienischen Marmor gewählt?

Wir wollten nicht den dunklen norwegischen Marmor, sondern einen weißen Stein, der auch im Regen weiß bleibt. Das bietet nur dieser Marmor, der so hart ist, dass er kein Wasser aufnimmt. Außerdem wollten wir dieses Dach als Leinwand für das Publikum gestalten. Wenn Menschen darauf herumlaufen, erschaffen sie ein ewig veränderliches Bild.

Hamburgs Elbphilharmonie sitzt hoch über der Stadt auf einem Speicher. Für das "Volk" bleibt ein schmaler, zugiger Umgang. Finden Sie das elitär?

Es gibt sehr viele Arten, Architektur zu gestalten. Ich finde die Idee, ein existierendes Gebäude - einen Backsteinspeicher von 1963 - zu erweitern, sehr schön.

Finden Sie die hoch aufragende Elbphilharmonie undemokratisch?

So weit würde ich nicht gehen. Die Machart dieses Gebäudes hängt ja sehr stark mit den Voraussetzungen zusammen. Und wenn die Politik entschieden hat, dass ein existierendes Gebäude erweitert werden soll, hat das bestimmte Konsequenzen für die Umsetzung.

Hätten Sie es genau so gebaut?

Wir wären es wohl ein wenig anders angegangen. Das heißt aber nicht, dass das richtiger oder besser gewesen wäre.

Wie wären Sie es angegangen?

Offen. Und wenn es meine Entscheidung gewesen wäre, hätte ich nicht ein existierendes Gebäude aufgestockt.

Die Festlegung - hier auf einen trapezförmigen Grundriss - wäre Ihnen zu groß?

Ja.

Besteht die Gefahr, dass die Elbphilharmonie die Hafencity optisch erschlägt?

Die Gefahr besteht immer. Das hat etwa mit Fokussierung, emotionalen Beziehungen und mit der Funktion zu tun. Denn letztlich sind solche Gebäude ja nur Bühnen für das, was eigentlich geschehen soll. Hier hat auch die künftige Administration die Aufgabe zu schauen, dass das auch fürs einfache Publikum funktioniert. Nicht nur die Architekten.

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