Mehr Heuschrecken als gedacht: Moabit probt den Widerstand
Eine Initiative will sich gegen steigende Mieten und Heuschrecken als Hausbesitzer wehren. Bei einer Diskussion mit Anwohnern bleibt strittig, wie man sich wehren kann.
"Ein hocherschreckendes Bild", rief der Stadtsoziologe Andrej Holm, als er Dienstagabend das Jugendzentrum Kubu in der Rathenower Straße in Moabit betrat. Damit meinte Holm nicht die langgestreckte Bausünde aus den 70er Jahren, die neben dem Jugendclub eine Kita, ein Kinderheim und eine Grundschule beherbergt. Das Entsetzen des Gentrifizierungsexperten galt einer Gebietskarte von Moabit-Ost, die große himbeerrote Flecken aufwies. Himbeerrot bedeutet: Diese Immobilie ist in der Hand eines Großeigentümers oder Investmentfonds. "Wir haben es in diesem Teil Moabits mit einer Umkehrung traditioneller Berliner Eigentumsstrukturen zu tun", so Holms Fazit.
Die Karte mit den Flecken ist das Resultat einer Fragebogenaktion der Initiative "Wem gehört Moabit", die am Dienstag einlud, um über die Ergebnisse zu diskutieren. Die Gruppe von Architekten, Soziologen und Anwohnern gründete sich Anfang 2010, weil sie Veränderungen in ihrem Kiez spürten: steigende Mieten, Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und der Kauf ganzer Wohnkomplexe durch internationale Investoren. Man startete eine Anwohnerbefragung, um herauszufinden, wem die rund 11.000 Wohneinheiten in dem Gebiet nordwestlich des Hauptbahnhofs gehören, das im Westen von der Stromstraße, im Norden von der Quitzowstraße, im Süden von der Straße Alt-Moabit und im Osten von der Lehrter Straße begrenzt wird. Repräsentativ sind die Ergebnisse der Umfrage nicht: nur 53 Prozent des Wohnungsbestands konnten ermittelt werden, vieles auf der Karte blieb weiß (in der Grafik oben schraffiert). Was man bisher über die Eigentümerstruktur herausfinden konnte, fasste Initiativ-Mitglied Stefanie Schulz so zusammen: "Moabit ist keine Insel mehr."
Das wissen auch die rund 45 Erschienenen, die zumeist älteren Semesters sind und seit vielen Jahren in Moabit-Ost leben. Schon seit ein paar Jahren gilt der verschlafene ehemalige Industriebezirk zwischen Tiergarten und Wedding als preisgünstige Alternative für alle, die zentral, aber fern der teuren Szenebezirke leben wollen. Doch durch die Entwicklung rund um den Hauptbahnhof und den geplanten Umbau des Moabiter Güterbahnhofs ist die Gegend in den Fokus von Immobilienvermarktern gerückt.
Wie sich das auf die Gegend auswirkt, zeigte die Karte der Initiative, die eine aktuelle Momentaufnahme der Eigentumsverhältnisse in Moabit-Ost darstellt. 46 Prozent des bekannten Wohnungsbestands gehört Großinvestoren, darunter der ehemalige Sozialbaukomplex Heinrich-Zille-Siedlung und viele kleine Wohneinheiten im Stephankiez, der bereits als potentieller Szeneviertel gehandelt wird. Private Einzeleigentümer und Eigentümergemeinschaften machen nur 28 Prozent aus, Wohnungsbaugesellschaften zehn Prozent und Genossenschaften nur auf drei Prozent. Dass sich Kapitalgesellschaften auf Wohnungen in Moabit stürzen, führte man auf dem Podium auf den massenhaften Verkauf landeseigener Wohnungen seit der Wende zurück. Günstige Neubaubestände zögen Firmen an, die nur die Rendite im Kopf hätten und an Verwaltung und Instandsetzung der Häuser sparten, sagte Holm.
Doch was bedeutet das für den Kiez? Wer ist die größere Gefahr - Heuschrecken, die Häuser voller Mieter als pure Spekulationsmasse betrachten? Oder Studierende, die ständig ein- und ausziehen und damit die Preise für Neuvermietungen in die Höhe treiben? Was kann man tun, um die Spirale aus Verteuerung und Verdrängung zu stoppen? Auf dem Podium herrschte darüber kämpferische Uneinigkeit.
Während Holm dazu riet, Genossenschaften zu gründen, um selbst auf dem Immobilienmarkt mitzumischen, glaubte der Stadtforscher Sigmar Gude, dass die seit Jahren steigenden Mieten auch in Moabit nicht aufzuhalten seien. "Noch findet hier keine nennenswerte Zuwanderung von einkommensstarken Haushalten statt", sagte Gude, der im letzten Jahr eine Studie über das angrenzende Moabit-West verfasst hat. Aber dafür machten sich die Armen gegenseitig den Wohnraum streitig, während es für Gutverdiener noch viel Platz gebe.
Die ganz Armen befanden sich nicht im Publikum, sondern die untere Mittelschicht, die um ihr Wohnviertel bangt. Anders als in Kreuzberg oder Neukölln waren aber kaum junge, "kreativ" aussehende Menschen anwesend. Deren Rolle werde eh überschätzt, meinte Holm. Nicht die Kreativen trieben die Miete in die Höhe. Aufwertung geschehe auch ohne kulturelle Pioniernutzer - wie im unhippen Moabit, das sich zum teuren Innenstadtbezirk entwickle.
Was also tun? Darüber diskutierten in der Rathenower Straße auch erstaunlich viele engagierte Rentner, die nicht daran denken, sich vertreiben zu lassen. Eine betagte Mieterbeirätin aus der Lehrter Straße berichtete von ihren Erfahrungen, der grauhaarige Vorsitzende des Mietervereins rief dazu auf, gegen das vom Senat geplante Wohnraumgesetz zu demonstrieren, das die Belegsbindung für Sozialwohnungen verkürze.
Die Initiative "Wem gehört Moabit?" will die rührigen Bewohner mit Arbeitskreisen zum weiteren Engagement bewegen, unter anderem soll eine neue Genossenschaft gegründet werden. Den vielleicht plakativsten Ansatz für Protest skizzierte ein älterer Herr, der die Querelen mit seinem "Heuschrecken"-Vermieter in Ordnern abgeheftet hatte und haarsträubende Geschichten von explodierenden Nebenkostenabrechnungen und Verwaltungswillkür erzählte. Sein Rezept für effektiven Mieterwiderstand passte in einen Satz: "Stripp, strapp, strull, schon ist der Eimer full - so melken die ihre Mieter. Aber von mir kriegen die keenen Troppen!"
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