Kommentar Krise der SPD: Sigmar Gabriel vor der Entscheidung
Alle entscheidenden aktuellen Debatten werden von Grünen und CDU entschieden. Selbst da, wo die SPD könnte, punktet sie nicht. Parteichef Gabriel hat viel vor sich.
E twas Zeit hat Sigmar Gabriel noch. Bis zum Parteitag im Dezember muss der Parteichef die SPD von seinem Antrittsversprechen überzeugen: einer inneren Reform, bei der die Funktionäre sich selbst entmachten sollen, um die Partei für Nicht-Mitglieder zu öffnen.
Das alles in einer Zeit, in der die SPD von gesellschaftlichen Debatten weitgehend abgehängt ist, an einem renitenten Exsenator verzweifelt und sich in absurden Kanzlerkandidatur-Debatten verrennt. Für Gabriel haben die entscheidenden Wochen seiner Amtszeit begonnen.
Dabei ist seine Idee der Reform richtig. Die SPD ist für weite Teile der Bevölkerung uninteressant geworden. Und die Rebellion in den eigenen Reihen gibt dem Chef recht: Widerstand ist das beste Signal dafür, dass eine Reform den Namen verdient. Denn nur dann wird wirklich verändert - und das ist für die Verlierer schmerzlich.
GORDON REPINSKI ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.
Gleichwohl löst sich das tiefe Desinteresse an den Sozialdemokraten nicht durch neu sortierte Gremien. Für die SPD interessiert sich im Moment deshalb niemand, weil sie für nichts steht. Die wesentlichen Debatten von Atom bis Stuttgart 21 werden zwischen Grünen und CDU entschieden.
Selbst dort, wo die SPD punkten könnte, tut sie es nicht. Beispiel Steuerpolitik: Dort traut sich die Partei seit einem Jahr nicht, klarzustellen, dass sie mehr Einnahmen will – und diese nur mit Steuererhöhungen erreichbar sind. Warum nicht? Aus Angst, die Steuererhöherpartei zu sein.
Die SPD ist nach zwei Jahren nicht über Korrekturen alter Regierungspositionen hinausgekommen. Dies ist nicht mit einer Parteireform zu ändern. Nun muss Gabriel beide Probleme in den Griff bekommen, sonst ist zumindest eine Frage geklärt - allerdings zu seinen Ungunsten: die der Kanzlerkandidatur.
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