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SCHWARZFAHRENNulltarif kommt nicht in Frage

Berliner Richter klagen: Zu viele Verfahren gegen "Leistungserschleicher" im Nahverkehr blockieren sie. Die Justizverwaltung prüft Auswege aus dem Dilemma.

Alle bezahlt? 12.000 Schwarzfahrer zeigt die BVG jährlich an. Bild: dpa

Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr? In den 80er Jahren hatten sich politische Gruppen diese Forderung ernsthaft auf ihre Fahnen geschrieben. Auch Teile der Berliner Grünen waren damals dafür. Heute indes macht man sich schon lächerlich, wenn man das Wort nur erwähnt. "Nulltarif ist nicht finanzierbar", sagt der Verkehrsexperte Michael Cramer, der für die Grünen im Europaparlament sitzt, aber immer noch gern in der Berliner Politik mitmischt.

Gründe, die Preispolitik der Verkehrsbetriebe zu überdenken, gibt es allemal. Täglich fahren rund 1,4 Millionen Menschen U-Bahn. "20.000 bis 25.000 werden pro Monat beim Schwarzfahren erwischt", sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Wer erwischt wird, muss 40 Euro - den bundeseinheitlichen Schwarzfahrertarif - zahlen. Tut er das nicht, wird er gemahnt. "Wir zeigen bei der Polizei nur die Chronischen an", so Reetz. Gemeint sie die, die trotz diverser Mahnungen nicht zahlen. Wer das "erhöhte Beförderungsentgelt" fristgerecht entrichte, werde nicht angezeigt - unabhängig davon, wie oft er erwischt werde.

Rund 12.000 Strafanzeigen wegen "Leistungserschleichung" erstattet die BVG laut Reetz pro Jahr. Weil es sich um eine Straftat handelt, kommt die Justiz ins Spiel. Hier beginnt ein neues Sorgenkapitel: Am Montag klagten Richter öffentlich über ihre hohe Arbeitsbelastung. Zu viel Zeit nähmen Prozesse gegen notorische Schwarzfahrer in Anspruch. 25 bis 30 Prozent aller Gerichtsverfahren gegen Erwachsene hätten den Vorwurf der Leistungserschleichung zum Inhalt, zitierte der Tagespiegel am Montag eine Richterin. Bei jugendlichen Angeklagten seien es 15 bis 20 Prozent. Ein Vorschlag aus Richterkreisen: Schwarzfahren nur noch als Ordnungswidrigkeit behandeln oder Hartz-IV-Empfänger umsonst fahren lassen.

Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) hat ihrer Verwaltung nun den Auftrag erteilt, zu prüfen, wie die Justiz entlastet werden kann. Ob eine Bundesratsinitiative zur Entkriminalisierung des Schwarzfahrens in Betracht kommt, wollte Justizsprecher Michael Kanert gegenüber der taz weder bestätigen noch dementieren: "Es gibt keine Denkverbote."

Grünen-Verkehrsexperte Michael Cramer dagegen schüttelt auf Nachfrage gleich ein paar Vorschläge zur Lösung des Problems aus dem Ärmel. Nach dem Vorbild des Semestertickets - Studenten zahlen bei der Immatrikulation automatisch für ein Ticket, das sogar die Fahrradmitnahme einschließt - wünscht er sich die Einführung eines Schülertickets. "Damit hätte man den größten Teil der jungen Leute vom Schwarzfahren ausgeklammert." Analog dazu müsse es auch für Hartz-IV-Empfänger eine Sonderregelung geben.

Eine weitere Forderung von Cramer: "Schwarzfahren darf nicht teurer sein als Schwarzparken." Letzteres fängt bei 5 Euro an, Maximum sind 25 Euro. Die Gebühr legt Berlin fest, nicht der Bund. Im Unterschied zu den BVG-Tickets seien die Parkgebühren seit Einführung der Parkraumbewirtschaftung im Jahr 2005 kein einziges Mal erhöht worden, so Cramer: "Das ist unsozial und unökologisch."

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7 Kommentare

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  • S
    Smone

    an Buerger - aber auch fuer alle anderen:

     

    ????

     

    Wo ist denn bitte die Logik dass man ein VOLLGETANKTES AUTO gestellt bekommen soll wenn oeffentliche Verkehrsmittel kostenlos genutzt werden koennen.....???

     

    Es geht doch im Endeffekt nicht wirklich darum, wie teuer Benzinpreise sind, wieviel Steuern und Zulassung fuer ein Auto kosten und wieviel Geld man mittlerweile fuer eine Stunde Parken in der Innenstadt blechen muss...

     

    Es geht doch eigentlich darum Abgase zu senken und was ist bitte ein besserer Weg als 25, 30 Leute in einem Fahrzeug (bestenfalls noch mit LPG betrieben) zu transportieren statt 30 Autos durch die Gegend fahren zu haben?

     

    Natuerlich hat ein Auto viele Verzuege, ganz abgesehen von Kosten, man muss sich nicht um Sitzplaetze draengeln, man ist flexibler in Abfahrtszeiten, mehr Transportflaeche und man hat natuerlich den Vorzug mal was im Kofferraum liegen zu lassen wenn mans nicht stundenlang mit durch die Gegend schleppen will.... Die Liste kann noch und noecher ausgedehnt werden - aber darum geht es gar nicht.

     

    Wir haben in gewisser Hinsicht die Pflicht unseren Lebensraum zu erhalten, und dafuer muss eben jeder hier und da Abstriche machen. Anders gehts nicht!

  • F
    Fenriswolf

    Ein Nulltarif ist politisch nicht gewollt. Und grade die Grünen sollten Wissen das es besser geht. Nur müssen dann die privatisierungen aufgehoben werden.

     

    Eine Komunale Abgabe für Wohneigentum nach Anzahl der der normalen Bewohner, womit Hotels und auswärtige mit eingeschlossen sind, und diese Zweckgebunden für kostenlosen ÖPNV nutzen.

    Die Ökologiosche Wende kommt automatisch mit. Warum Geld für Benzin bezuahlen wenn man kostenlos mit Bus und Bahn fahren kann.

     

    Die Busticket sind auch einfach zu teuer. für 25km Pendeln zur Arbeit zahle ich wenn ich alleine im Auto sitze grademal 4 Euro. Für ein ÖPNV Ticket für Hin und Rückfahrt 8 Euro. Und wenn man Fahrgemeinschaften bildet ist man günstiger und schneller als jede Busverbindung.

  • A
    aurorua

    Unlängst war zudem bekannt geworden, dass BVG-Direktoren der zweiten und dritten Führungsebene bis zu 200 000 Euro pro Jahr verdienen (MOPO 2008)!

    Wofür? Was leisten diese Leute im Vergleich zu einem Facharbeiter.

    Ständige Fahrpreiserhöhungen (1980 80 Pfennig = 40 Cent, Heute 2,30 € = 4,60 DM) bei schlechterer Leistung und Qualität!

    Wann ist endlich SCHLUSS mit der sukzessiven Ausbeutung der einfachen Menschen zum Wohle von größenwahnsinnigen Direktoren, Vorständen, Politikern und dergleichen???

  • B
    Bürger

    Wenn man umsonst mit Bus und Bahn fahren soll muss das auch für's Auto gelten. Also man muss ein Auto gestellt bekommen, natürlich vollgetankt.

     

    Autofahren wird immer teurer, da ist es doch gut das auch das Bus- und Bahnfahren teurer wird, alles sollten gleich sein, das Autofahrer mehr gegängelt werden ist ein Unding!

  • B
    überrascht

    Warum kann man hier in Berlin keine Durchgangsbarrieren , in die man zum rein- oder rausgehen das Ticket steckt, wie z.B. in London an die Eingänge der Banhöfe installieren?

  • S
    Smone

    Nulltarif nicht denkbar - erweitert euer denken!!

     

    Ich lebe in Perth, West Australien und nicht nur kann man hier ALLE oeffentlichen Verkehrsmittel innerhalb einer gewissen Zone um den Stadtkern kostenlos nutzen, sondern es gibt sogar insgesamt 4 hochmoderne Sonderlinen, Central Area Transit, kurz CAT Busse genannt die innerhalb des Zentrums alle 10-15 minuten kostenlos und ohne jegliche Ausnahmen oder Regelungen fuer JEDEN Passagier frei nutzbar sind.

     

    Mir ist klar, dass Berlin und Perth in vielen Hinsichten so arg zu vergleichen sind wie ein saurer Apfel und eine Himbeere (schon allein Bevoelkerungstechnisch), aber einfach von vornherein etwas als unmoeglich zu erlaeren finde ich bedauernswert und vielleicht sollten sich die, die sich mit Finanzen auskennen sich ein bisschen mehr mit dem Thema beschaeftigen!

  • D
    Daniel

    Warum gilt für den Nulltarif ein Denkverbot?

    Diese Idee ist sehr interessant und wer von "nicht finanzierbar" schwafelt, hat offensichtlich von Finanzen keine Ahnung.

     

    Es geht beim Nulltarif einzig und allein um die Verteilung der Kosten und diese sollte, wie so vieles, sozialer sein.