Kolumne Geräusche: Wie ich einmal unsichtbar wurde

Fotos machen angeblich sichtbar. Manchmal aber auch das Gegenteil.

Es ist schon ein geräumiges Weilchen her, 1988 muss es gewesen sein, da besuchte ich ein Konzert von Pink Floyd auf dem Maimarktgelände zu Mannheim. Damals begleitete mich mein Freund Peter, ein Hobbyfotograf, der sich weniger für die Musik als vielmehr für "die Optik" interessierte, den bunten Lasersalat, den fliegenden Eber mit den rotglühenden Augen, das auf die Bühne stürzende Flugzeug, so was alles.

Wie aber die schweineteure Kamera nebst wuchtigem Teleobjektiv durch die Sicherheitsschleuse schmuggeln? Gar nicht: Am Vorabend des Konzert schlichen wir im Schutz der Dämmerung um das weitläufige Gelände und schoben die Kamera durch eine Lücke im Zaun in das dahinter wuchernde Gebüsch - wo Peter sie nach schlafloser Nacht anderntags wieder unauffällig in Besitz nehmen und zur Tat schreiten konnte. Die Fotos waren toll, aber nicht ganz so toll wie ihre Entstehungsgeschichte.

An diese lang vergessene Episode musste ich, wie Opa an den Krieg, neulich wieder bei einem Konzert in der Columbiahalle denken, als vor mir im Dunkel die Displays zahlloser Mobiltelefone leuchteten, schwankend wie die Wipfel eines fluoreszierenden Wäldchens. Was sich in Wirklichkeit ereignen mag, wird unwichtig vor der Aufgabe, diese Wirklichkeit zu bannen, anstatt sie zu erleben.

Das Internet ist voll mit den akustisch wie optisch erbärmlichen Ergebnissen solcher Aufnahmen, die keinen anderen Sinn haben als zu behaupten: Dieses verwischte Gespenst dort vorne ist PJ Harvey - und mich gibts übrigens auch, uns gibt es sogar beide, wir teilten nachweislich für eine Weile das gleiche Raum-Zeit-Kontinuum! Aber tun wir das wirklich?

Vor nicht ganz so langer Zeit stand ich einmal mit Tom Cruise auf dem roten Teppich vor dem Kino International. Besser gesagt: Er stand anlässlich der Premiere des Flops "Von Löwen und Lämmern" und verteilte mit disziplinierter Freigiebigkeit Autogramme und Handküsse an die wogenden Massen jenseits der Absperrung. Ich hätte direkt an Tom Cruise vorbeigemusst, um ins Kino zu gelangen, und wartete daher vorsichtshalber mal ab. Tom Cruise aber hielt an diesem Abend unermüdlich sein Tom-Cruise-Gesicht in die allgegenwärtigen Kameras, während seine Tom-Cruise-Frisur dem Blitzlichtgewitter trotzte.

Nach etwa einer halben Stunde wurde es mir zu bunt, ich gab meinem Herzen einen Stoß und schritt zügig auf dem roten Teppich an Tom Cruise vorbei, so dicht und unbehelligt, dass ich sogar sein Parfüm hätte riechen können, wenn mir danach der Sinn gestanden hätte, den Mann zu beschnuppern. Für wenige Meter teilte ich also das Rampenlicht ganz alleine mit dem sympathischen Scientologen und seiner Frau Katie Holmes, umbrodelt vor allem von schnappenden und blitzenden Objektiven, die wirkten wie die Stielaugen eines einzigen hungrigen Organismus. Ein märchenhaftes Erlebnis. Wer kann schon von sich behaupten, und sei es auch nur für Sekunden, einmal ganz unmetaphorisch und wirklich absolut unsichtbar gewesen zu sein?

Text: "Rah rah ah-ah-ah/ Ro mah ro-mah-mah" (Lady Gaga)

Musik: Schnipp-schnapp.

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