Ungarischer Film "Bibliothèque Pascal": Desdemona im Einzelzimmer
Der ungarische Regisseur Szabolcs Hajdu treibt es bunt, wenn er in "Bibliothèque Pascal" von Zwangsprostitution erzählt. Ekel ist ihm lieber Betroffenheit.
In diesem Film hat die Frau, von der die Kamera nicht lassen kann, keinen Spielraum. Mit unbewegter Miene lässt Orsolya Török-Illyés als Mona einfach alles mit sich machen. Zuerst ist es der Musiker, der sich einfach andere greift. Dann ist es ein dumpfer Schausteller, der gar nicht mitbekommt, was sie eigentlich von ihm will. Es folgen ein Kleinkrimineller und dann der Vater, ein kaltschnäuziger Geschäftsmann, der Mona belügt und an Menschenhändler verkauft. Und schließlich, im Zentrum des Films: die Freier und der Zuhälter. Im bizarren Bordell ist die Gewalt System geworden. Die Männer lassen ihre sexuellen Fantasien an Mona nicht mehr nur nach Lust und Laune aus, sondern nach wohl überlegtem Plan.
Der Zuschauer ist gezwungen, sich "Bibliothèque Pascal", einem Film des ungarischen Regisseurs Szabolcs Hajdu, der in diesem Jahr im Internationalen Forum des jungen Films auf der Berlinale lief, über weite Strecken mit großem Unbehagen zu nähern. Erzählt wird, das ist von Anfang an klar, von Menschenhandel, Zwangsprostitution und männlicher Herrschaft.
Erzählt wird aber auch - und das ist das große Verdienst dieses verstörenden Films -, dass es hier umso weniger um Mitgefühl oder gar Überwältigung gehen darf. Der Film reflektiert den voyeuristischen Blick, den eine solche Geschichte Gefahr läuft, auf sich zu ziehen. Viele Zuschauer werden diesen Film voller Empörung und Ekel verlassen. Das ist allemal besser als Betroffenheit.
Barock dekorierte Rückblende
Am Anfang sitzt Mona auf dem Amt. Sie erklärt einem Bürokraten, warum sie ihre dreijährige Tochter wiederhaben will. Man wähnt sich in einem sozialrealistischen Film. Doch dann bittet der Bürokrat Mona, ihre Odyssee zu erzählen. Und schon geht sie los, eine skurrile, berauschend schöne Bildmacht, die mit Jahrmarktfolklore irgendwo in Rumänien spielt, magisch realistisch, barock dekoriert, auf den Spuren von Federico Fellini, Emir Kusturica und Peter Greenaway. Mona ist handlungsunfähig. Ein Opfer ist sie dennoch nicht. Denn sie kann das, was ihr angetan wurde, symbolisch überhöhen. Die Flucht ins Imaginäre erlaubt es ihr, die Würde nicht zu verlieren.
Da, wo es am Schlimmsten war, da wird auch der Film am Schrulligsten. Der Menschenmarkt, wo Mona verschachert wird, erinnert an Szenarien aus "Mad Max". Das Liverpooler Edelbordell, nach dem "Bibliothèque Pascal" benannt und das einer Bibliothek nachempfunden ist, wird von einem eloquenten Lebemann betrieben, der behauptet, im Slum aufgewachsen zu sein, und seine Gäste unterhält, indem er im Foyer seines Reichs Einrad fährt. Weiter hinten befinden sich die "Einzelzimmer", in denen Menschen gezwungen werden, unter Einsatz von Latex, Handschellen und anderem Spielzeug literarische Figuren von Lolita bis Othellos erdrosselter Desdemona zu spielen.
Um die, wie es einmal heißt, "creme of the society, the most sophisticated people" in diesem Puff zu animieren, müssen die Prostituierten einige Zeilen aus europäischer Hochkultur aufsagen, Shakespeare oder Nabokov, bevor sie vergewaltigt werden. Man fühlt sich ertappt, da unterhalten. Das ist unerträglich. Denn die wahre Unerträglichkeit dessen, was Mona widerfahren ist, blitzt im Erzählten allenfalls auf.
Ebenso märchenhaft unwahrscheinlich wie die ganze Geschichte kommt übrigens auch der Trost daher, den der Film am Ende bereithält. Monas Tochter ist, so behauptet zumindest Mona, in der Lage, ihre Albträume zu projizieren. Als die Tante, die Wahrsagerin ist und auf das kleine Mädchen aufpasst, diese Fähigkeit als einträgliche Jahrmarktattraktion entdeckt, träumt das Kind coram publico von riesigen Tubas, denen eine Blaskapelle entsteigt. Die Musiker - allen voran der eingangs erwähnte kaltschnäuzige Vater - marschieren schnurstracks nach Liverpool.
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