Die Wahrheit: Der Belanglosigkeitsbelästiger
Seit einigen Minuten hat keiner mehr ein Wort gesagt. Alle konzentrieren sich auf ihre Arbeit. Es herrscht eine intensive Ruhe im Büro, als er plötzlich hereinplatzt...
...und mitten im Raum stehen bleibt. Was kommt jetzt? Eins ganz gewiss: "Ich wollte nur sagen …" - so leitet er jede Rede ein. Das soll zwar höflich klingen, zeigt aber, dass alles, was danach kommt, unwesentlich ist. "Ich wollte nur sagen, dass ich heute nicht im Haus bin, falls es Probleme gibt", sagt er. Was für Probleme?, könnte man fragen. Aber es gibt keine Probleme - bis auf eins, und das steht gerade da.
Der Belanglosigkeitsbelästiger ist eine der schlimmsten Plagen des Erwerbslebens. Von denen es nicht wenige gibt: Wie den Chef, der nichts taugt. Oder den geisteskranken Kollegen, der aus unerfindlichen Gründen ständig im Nachbarbüro "Kotze, Pisse, Kacke" schreit. Oder El Verfranso, der zwar für die Lösung technischer Probleme zuständig ist, aber nichts im Griff hat und sich dauernd verfranst. Oder das Hausfaktotum, dessen Witze nach Hausmeisterart bereits seit Jahren langweilen. Oder den Praktikanten, der den Kopierer für eine Kaffeemaschine hält. Und, und, und … An erster Stelle jedoch steht sicher der Belanglosigkeitsbelästiger.
Das sperrige, neunsilbrige Substantiv füllt bestens die Leere aus, die der Belanglosigkeitsbelästiger in die Welt bringt. Niemand weiß, welche Funktion er eigentlich in der Firma hat. Meist sitzt er sowieso in irgendeinem Gremium oder Rat. Sein ureigenes Hauptaufgabenfeld aber heißt Belästigen - auf allen nur erdenklichen Wegen.
Auftritt: der Belanglosigkeitsbelästiger. Er kommt herein, steuert schnurstracks auf ein Regal zu, greift sich eine Topfpflanze und kehrt um. "Was machst du da?", fühlt man sich gezwungen, nachzufragen, obwohl man weiß, dass man schon verloren hat, wenn man sich nur auf ihn einlässt. Traditionell erscheint der Belanglosigkeitsbelästiger immer, wenn es am wenigsten passt. Man muss gerade unbedingt eine Arbeit beenden und steht unter Druck, aber der Belanglosigkeitsbelästiger ist gnadenlos und nicht zu vergrämen.
"Ich wollte nur sagen, dass ihr eure Pflanzen gießen müsst." Abgesehen davon, dass wir sie regelmäßig gießen, was zur Hölle gehen ihn unsere Pflanzen an? Das folgende minutenlange Gespräch über Pflanzenpflege ist ungefähr so bedeutungsvoll wie ein ausgepresster Eiterpickel. Der Rest der Worte geht unter im Nebel des Nichts. Und wie immer entsteht eine Zeitlücke von zwanzig Minuten, die das Gehirn braucht, um sich wieder auf das Wesentliche einzurenken.
Das Telefon klingelt. Es ist - na, wer schon? "Ich wollte nur sagen, dass man sich heute für die Fortbildung eintragen kann." Fortbildung ist etwas für Volltrottel. Wer nicht frühzeitig gelernt hat, dass man sich ein Arbeitsleben lang eigenständig auf neue Entwicklungen einlassen muss, den wird auch eine institutionalisierte Fortbildung nicht weiterbringen. Aber Hauptsache, der Belanglosigkeitsbelästiger ist beschäftigt. Dabei bräuchte es tatsächlich dringend eine Lehrveranstaltung zu Beginn jeder Ausbildung: "Wie man das Grauen der Kollegen übersteht."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Nahost-Konflikt vor US-Wahl
„Netanjahu wartet ab“
Umgang mit Trauer
Deutschland, warum weinst du nicht?
FAQ zur Rundfunkreform
Wie die Öffentlich-Rechtlichen aus der Krise kommen sollen