Berlinwahl 1: Koalitionen: Aus fünf mach eins
So offen war in Berlin noch nie, wer künftig regiert. Die Stimmabgabe am 18. September ist nichts als ein Aufgalopp für die entscheidenden Koalitionsverhandlungen.
Hamburg, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bremen: Wann immer in diesem Jahr gewählt wurde, war eines vorher klar: Der Regierungschef steht am Wahlabend fest, die Wähler entscheiden quasi direkt. Anders in der Hauptstadt: In Berlin geht es am 18. September allein um die beste Ausgangsposition für das eigentliche Rennen: die Koalitionsverhandlungen.
In Hamburg gab es wenig Zweifel an Olaf Scholz als künftigem Regierungschef. In Bremen war klar, dass die Grünen in keinem Fall mit der CDU wollten und die SPD vorne bleiben würde. Und in Rheinland-Pfalz standen sich mit Rot-Grün und Schwarz-Gelb zwei feste Lager gegenüber, von denen eines am Wahlabend die Mehrheit haben würde. In Berlin hingegen ist freie Liebe angesagt: jeder mit jedem - fast: Immerhin CDU und Linkspartei haben wenig überraschend angekündigt, nicht miteinander zu wollen. Der Rest ist offen, auch wenn sie gelegentlich von größeren und kleineren Schnittmengen sprechen. Einzig bei einer erneuten Mehrheit für Rot-Rot wäre schon am 18. September klar, wer (weiter) regiert.
Eine solche Situation hat es in Berlin noch nie gegeben. Aktuell sind, gerade nach dem Wiedererstarken der SPD, gleich fünf Bündnisse denkbar, die nur bedingt vom Wahlergebnis abhängen: Im Extremfall liegt die SPD am 18. September mit über 30 Prozent vorn und muss doch in die Opposition, während es die CDU mit weniger als 20 Prozent - und damit so schlecht wie nie - in die Regierung schafft.
1. Rot-Rot: Das einzige Bündnis, das schon am Wahlabend steht, wenn es eine Mehrheit bekommt. Denn Wowereit lässt erkennen, dass er - trotz der jüngsten Konflikte um Polizeipräsident, Hort-Volksbegehren oder Datenspeicherung - gerne mit der Linken weiter machen will. Für die ist eine dritte Auflage von Rot-Rot nach 2002 und 2006 ohnehin erklärtes Wahlziel. Dafür gab es lange keine Mehrheit. In der jüngsten Umfrage jedoch fehlte dazu nur noch ein Prozentpunkt. Bleibt es beim derzeitigen Aufwind für die SPD, ist diese Variante nicht unrealistisch.
2. Rot-Grün:: Klappt dann, wenn die SPD gewinnt und sich bei der Grünen-Basis eine Mehrheit dagegen wendet, Renate Künast mit Hilfe der CDU zur Regierenden Bürgermeisterin zu machen. Das würde zugleich den erneuten Abschied Künasts aus der Landespolitik bedeuten: Sie will nur Regierungschefin werden, nicht Senatorin oder Oppositionsführerin. Dieses Bündnis brächte die Grünen allerdings in Erklärungsnot, wieso sie Wowereit zu fünf weiteren Jahren als Regierungschef verhelfen, nachdem sie ihn monatelang als abgehalftert, ideenlos und ausgebrannt kritisierten.
3. Grün-Rot: Die wahrscheinlichste Koalition, falls die Grünen die meisten Stimmen bekommen, wonach es derzeit allerdings nicht aussieht. Dann würde Künast mit einer SPD als Juniorpartner regieren, wie die Grünen in Baden-Württemberg. Von SPD-Landeschef Michael Müller wurde zwar kolportiert, dafür stehe seine Partei nicht zur Verfügung. Und Wowereit will genauso wenig wie Künast die zweite Geige spielen. Doch angesichts inhaltlicher Nähe, würden sich wohl genug SPDler aus der zweiten Reihe finden, Senatorenposten zu übernehmen.
4. Grün-Schwarz: Es wäre eine Premiere im deutschen Parlamentarismus. Schwarz-Grün gab es in Hamburg, im Saarland hält sich eine Jamaika-Koalition. Doch noch nie war die CDU Juniorpartnerin der Grünen. Anders als die SPD hätten die Berliner Christdemokraten damit kein Problem. Zu lange ist es her, dass sie zuletzt regierten: 2001 platzte die damalige schwarz-rote Koalition. Künast verweist gerne darauf, dass sie als Regierende Bürgermeisterin Richtlinienkompetenz hätte, was soviel heißt wie: Auch wenn die CDU dabei ist, sagen wir Grünen, wo es lang geht.
5. Rot-Schwarz: Nicht ausgeschlossen, vor allem für den Fall, dass der SPD tatsächlich viel daran liegt, die A 100 weiter zu bauen. Das ist reibungslos nur mit der CDU möglich. Für die Christdemokraten gilt hier das Gleiche wie bei Grün-Schwarz: Hauptsache mitregieren.
Die kleine Unwägbarkeit: Einige Optionen klappen nur, wenn außer diesen vier Parteien alle anderen - wie seit Monaten in den Umfragen - an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Dann nämlich fallen ihre Stimmen unter den Tisch. Das hätte zur Folge, dass die großen Parteien keine absolute Mehrheit der Stimmen für eine Mehrheit der Sitze im Parlament bräuchten. Bei einer Umfrage Ende Mai etwa hätten Grün-Schwarz dafür 44 Prozent gereicht: Rot-Rot kam nur auf 41 Prozent, der Rest verteilte sich auf FDP oder Diverse wie Piraten und Rechte. Schafft es etwa die auf zwei bis vier Prozent abgestürzte FDP doch noch, haben von den fünf Optionen nur noch drei eine ziemlich sichere Mehrheit: Rot-Grün, Grün-Rot und Rot-Schwarz.
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