Pegah Ferydoni und Mehdi Moinzadeh zum Festival "Bon Voyage!": "Wir feiern und mahnen"

Zum 60. Jubiläum der Genfer Flüchtlingskonvention veranstalten die Schauspielerin Pegah Ferydoni und ihr Kollege Mehdi Moinzadeh das Festival "Bon Voyage!" im Theater Heimathafen Neukölln - eine Feier gegen Stereotype und für die Menschenrechte

taz: Frau Ferydoni, Herr Moinzadeh, sind 60 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention ein Grund zum Feiern?

Ferydoni: Ich finde, es ist durchaus ein Grund, zu feiern, dass wir uns auf Menschenrechte auch für Flüchtlinge geeinigt haben. Allerdings wünschten wir uns, und das ist ja auch ein Grund, warum es dieses Festival gibt, dass diese Menschenrechte auch eingehalten werden. Das ist aber leider auch hierzulande immer weniger der Fall. Deshalb wollen wir nicht nur feiern, sondern auch aufrufen. Mahnen.

Moinzadeh: Feiern ist ein Teil des Festivals. Unser Anspruch steckt aber im Festivalnamen. Auf den sind wir oft angesprochen worden: "Ist das nicht zynisch, ,Bon Voyage!'?" Aber wir meinen das nicht zynisch, im schlimmsten Fall ironisch, im besten Fall utopisch. Warum soll man jemandem, der fliehen muss, nicht eine gute Reise wünschen?

Ferydoni: Wir wollen auch mal die Flüchtlinge feiern, die es geschafft haben, zu überleben und hierherzukommen. Und hier auch zu überleben. So ein Stück Willkommensgesellschaft leben.

Wie kamen Sie auf die Idee, dafür ein Festival zu machen?

Moinzadeh: Anfangs hatten wir gar kein Festival geplant, wir wollten eigentlich nur ein Stück aufführen, "Illegal" von Björn Bicker. Bei unseren Gesprächen über das Thema entstand dann die Idee, noch eine Diskussionsrunde zu veranstalten. Daraus wurde die Festivalidee, zumal gleichzeitig die Diskussion über Flüchtlinge aus Nordafrika dem Thema immer mehr Aktualität gab. Mich hat es eigentlich gewundert, dass sich in Berlin sonst kein Künstler mit diesem Jubiläum auseinandersetzt. Es gibt zwar andere Gruppen, aber das sind meist Betroffene.

Auch Sie stammen beide aus Flüchtlingsfamilien.

Ferydoni: Ja, aber das ist für uns eigentlich nicht so entscheidend. Wir sehen uns eher als engagierte Zivilbürger, die versuchen, relevantes Theater zu machen, und deshalb haben wir dieses Thema aufgegriffen.

Und das Datum des UN-Abkommens hatten Sie einfach so im Kopf?

Ferydoni: Nein, die Idee kam bei einem unserer Gespräche über das Thema. Ich saß mit einem Freund aus unserem Kollektiv zusammen. Er zeigte seinen blauen Pass für Staatenlose, und da fiel mir das Datum darauf ins Auge: Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951. Damit hatten wir einen übergeordneten Rahmen.

Frau Ferydoni, in dem Stück spielen Sie eine Münchnerin ohne Pass und Papiere. Wie haben Sie sich auf die Rolle der Illegalen vorbereitet?

Ferydoni: Ich habe Gitarre spielen gelernt (lacht). Nein, im Ernst: Ich kann die Befindlichkeiten aus der Flüchtlingsgeschichte meiner Familie nachvollziehen, das ist nicht so weit weg von mir. Aber wir müssen in unserer Darstellung aufpassen, dass wir nicht die Betroffenheit spielen, die der Zuschauer vielleicht empfinden soll. Die Flüchtlinge, die Illegalen, sind Betroffene, aber sie empfinden keine Betroffenheit.

Wie denken und leben die Illegalen in Wirklichkeit?

Ferydoni: Sie lassen sich nicht unterkriegen. Sie kämpfen weiter. Das ist es ja, was so unwahrscheinlich ist: Wie diese Menschen es schaffen, gegen jede Hürde anzukämpfen. Da muss man unbedingten Willen haben, sogar Humor. Wenn man das den Flüchtlingen abspricht, spricht man ihnen auch ihre Menschlichkeit ab.

Was sind das genau für Charaktere, die ihr Stück zeigt?

Moinzadeh: Es geht um drei Flüchtlinge in München. Einer sagt zum Beispiel, die Angst mache mutig. Er denkt: Ich darf hier nichts, nicht mal lernen, also lebe ich jetzt auf eigene Faust. Das Mädchen aus Ecuador hat ganz andere Fluchtgründe, ganz andere Dinge erlebt. Und dann gibt es noch einen, der mit allem super klarkommt, der sich durchschlägt, auch durchprügelt und fröhlich dabei ist. Da ist ein Aufenthaltsstatus, der heißt illegal, aber die Menschen leben ja.

Man wird in den Aufführungen einen Chor singen hören: "Wir sind die neuen Menschen, nehmt euch in Acht." Was bedeutet das?

Moinzadeh: Unsere Gesellschaft hat offensichtlich Probleme mit der Vorstellung von Menschen, die außerhalb der Gesetze leben und die trotzdem überleben, die sich durchschlagen, sich damit arrangieren. Das erzeugt auch Angst. Klar, denn diese Menschen sind ja auch stark, überlebensfähig, schneller und brauchen weniger.

Muss die Gesellschaft also Angst haben vor Flüchtlingen?

Ferydoni: Wenn man davon ausgeht, dass in Deutschland mehrere hunderttausend Menschen illegal leben, die ihr ganzes Leben, ihre Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche, alles im Geheimen organisieren, wenn diese Menschen alle plötzlich eine Sozialversicherung bekämen, brächte das unseren Staat ja erheblich in Schwierigkeiten - finanziell wie rechtlich. Und dabei würden die Flüchtlinge nichts weiter machen, als ihr Recht auf Menschenwürde einzufordern.

Moinzadeh: Wir sind keine Politiker, aber für mich stellt sich die Frage: Was verlieren ein Staat oder eine Vereinigung von Staaten, wenn sie ihre Definition von "wir und die anderen" ändern? Würde ein Staat dann ins Schwanken kommen?

Am Sonntag lesen Sie aus dem Roman "Transit" von Anna Seghers, die als Jüdin vor dem NS-Regime flüchten musste. Verpflichtet die deutsche NS-Geschichte dazu, Flüchtlinge aufzunehmen?

Moinzadeh: Wir wollten mit dieser Lesung zurückblicken in den Kontext, in dem die Konvention entstanden ist. Und das waren der Zweite Weltkrieg und seine Folgen. Deutschland trägt deshalb natürlich eine besondere Verantwortung. Das ist aber kein Vorwurf wegen einer alten Schuld, sondern es geht um die Verantwortung, die man daraus gelernt hat! Man sollte sie stolz tragen und sie sich nicht aus eingeredeter Angst vor Fremden ausreden lassen. Glauben die Menschen heute eigentlich noch an die Friedensgrundsätze, die der Konvention zugrunde liegen? Wenn man die heutigen Bilder von den europäischen Grenzen sieht, erscheint die Frage absurd.

Ferydoni: Erst feiert man die arabische Revolution und bombardiert in Libyen. Wenn dann die Menschen von dort flüchten, heißt es plötzlich: Europa ist dicht, wir können nicht alle aufnehmen. Als in den Neunzigern im Balkan die Kriege waren, konnten wir auch Flüchtlinge aufnehmen! Warum kann man jetzt die arabischen Flüchtlinge nicht aufnehmen? Wir haben hier alles, von allem zu viel, und sind trotzdem nicht zufrieden.

Moinzadeh: Unsere Staaten, Europa, tragen Mitverantwortung für die Zustände auf der Welt. Egal ob das politische oder wirtschaftliche Zustände sind: Massen von Menschen sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Man kann vor dem Hintergrund der Globalisierung nicht mehr sagen: Ja, ihr dürft kommen und unsere menschenrechtlichen Garantien in Anspruch nehmen, aber bitte nicht die, die es einfach nur besser haben wollen. Auch wirtschaftliche Fluchtgründe haben einen politischen Hintergrund.

Was wünschen Sie sich für die Flüchtlinge?

Ferydoni: Das der Status "illegal" umgewandelt wird in einen anderen Status, in dem die Menschen wenigstens ein Recht auf medizinische Versorgung haben, auf Wohnraum, auf Bildung. Die Erfüllung ganz normaler menschlicher Bedürfnisse, Menschenrechte eben.

Moinzadeh: Eine gute Reise, bis zu dem Punkt, wo sie wieder irgendwo angekommen, zu Hause sind.

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