Ausstellung über Ré Soupault: Die neue Frau
Ré Soupault war Modeschöpferin, Fotografin, Übersetzerin und Journalistin. Jetzt wird die Avantgardistin der 1920er Jahre wieder entdeckt.
Locker, aber doch elegant lehnt sie am Tisch, ihre Haare sind kurz geschnitten, ihre Hand hält eine Zigarette, unter dem weich fließenden Hosenrock verschwinden die Beine. Über diesem Bild liegt surrealistisch eine Zeitungsseite, die transparent über dem Gesicht der Frau schwebt. Das Selbstporträt aus dem Jahr 1939 zeigt Ré Soupault, eine der faszinierenden Künstlerinnen der europäischen Avantgarde der 1920er und 30er Jahre.
Geboren wurde sie 1901 als Meta Erna Niemeyer in eine gutbürgerliche Familie in Pommern. Ihre Zeichenlehrerin machte Erna auf das Bauhaus aufmerksam, das ihr mit seinen Ideen und neuen, subversiven Idealen in diesem Umfeld wie ein Lichtblick erschien. Der Gedanke, nicht zwischen Künstlern und Handwerkern zu unterscheiden und gemeinschaftlich zu arbeiten, faszinierte die Gymnasiastin, und so begann sie im Frühjahr 1921 in Weimar zu studieren. Johannes Itten wurde zu einem ihrer wichtigsten Lehrer, weil er ihr, wie die Künstlerin später sagte, das "Sehen" beibrachte.
Nachdem Meta Erna Niemeyer das Bauhaus verlassen hatte, heiratete sie in Berlin den Experimentalfilmer Hans Richter, arbeitete als Modezeichnerin und später auch als Journalistin bei der bekannten Zeitschrift Sport im Bild, für die damals auch Bert Brecht und Erich Maria Remarque schrieben. Der amerikanische Bankier Wheeler begeisterte sich für ihre Idee, die Mode zu demokratisieren und kostengünstige Konfektion zu entwerfen. Dazu stellte er ihr eine Boutique in Paris zur Verfügung und finanzierte ihre Kollektionen. So wurde aus der Journalistin Renate Green die Modedesignerin Ré Richter.
Statt Haute Couture schwebte ihr eine pragmatische Garderobe vor, ohne dabei auf ästhetischen Anspruch und materielle Raffinessen zu verzichten. Diese Geisteshaltung spiegelte den Wandel der Frau in der Weimarer Republik und ihres Selbstverständnisses wider: Die Mystische, die Weltfremde, wurde durch die "neue" Frau ersetzt, die sich selbstbewusst am Steuer ihres Autos in der Öffentlichkeit zeigte. Die Ironie wollte es, dass ihre Mode beim Zielpublikum nicht ankam, das ihre Schnitte als zu nüchtern und puristisch empfand. Dagegen gefielen sie Intellektuellen, Künstlerinnen und modebewussten, gut situierten Damen. Wohl auch deshalb, wie die Designerin selbst sagte, "weil Kultur dazu gehört, um das Einfache zu lieben".
Modefotografie als Kunstform
Die Modewelt war zu dieser Zeit kreativer Umschlagplatz der Avantgarde und die Modefotografie setzte sich als eigene Kunstform durch. Auch wenn viele Fotografien als Werbefotografien entstanden, verbanden sie doch Kunst und Kommerz. Künstlerinnen wie Lotte Jacobi, Ilse Bing und Gisèle Freund gehörten zu Ré Richters Bekanntenkreis. Für sie alle bot die Mode eine berufliche Nische, in der sie sich selbständig kreativ entwickeln konnten.
1937 heiratete Ré Richter den Schriftsteller und Mit-Initiator der Pariser Dada- und Surrealismus-Bewegung Philippe Soupault. Nachdem sie ihr Modestudio aufgegeben hatte, unternahm sie mit Philippe Soupault zahlreiche Reisen in die USA, nach Deutschland, Skandinavien, Italien und Nordafrika und begann die Reportagen ihres Mannes mit einer damals neuen Leica und der 6x6-Rolleiflex zu bebildern.
Der Fotograf als Übersetzer
Soupault interessierte sich für die Räume und Strukturen der Großstadt, dabei experimentierte sie mit Proportionen und Perspektiven, etwa bei den Landschaften, die sie auf ihren Reisen fotografierte. Ebenso trat sie aber mit den Menschen direkt in Kontakt und fing die besonderen Momente ein. Ein Fotograf war für sie nicht Künstler, sondern Übersetzer, der das Gesehene unverfälscht und mit Genauigkeit wiedergibt.
Als erste Fotografin gelang es ihr, in Tunesien Frauen zu porträtieren, die, verstoßen von der islamischen Gesellschaft, in einem abgeschiedenen Ghetto lebten und zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes bettelten oder sich prostituierten. Ihr begrenzter Lebensraum wird hinter Türschwellen und vergitterten Fenstern sichtbar.
Nach dem Krieg trennte sich Ré Soupault von ihrem Mann. Sie lebte zeitweise in New York, zog dann aber wieder nach Europa, wo sie ihr Geld als Journalistin und Übersetzerin verdiente. Der Kontakt zu Philippe Soupault brach nie ab, und die beiden arbeiteten in den 1960er Jahren wieder gemeinsam und lebten zusammen in einem Haus mit separaten Wohnungen. Ré Soupault übersetzte viele seiner Gedichte und sie drehten einen Film über Wassily Kandinsky. Als sich herausstellte, dass ihre im Krieg verloren geglaubten Negative und Fotomaterialien doch erhalten geblieben waren, machten ihre Bilder Anfang der 90er Jahre in Ausstellungen rund um den Globus Furore.
Nach der Kunsthalle Mannheim präsentiert nun das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg in der umfassenden Retrospektive "Ré Soupault - Eine Künstlerin im Zentrum der Avantgarde" (15. Juli bis 4. September) das facettenreiche Werk der Künstlerin, die jetzt in Deutschland eine Renaissance erlebt. Im Wunderhorn Verlag erscheint der materialreiche Katalog, der von Ré Soupaults Nachlassverwalter Manfred Metzner und Ulrike Lorenz und Inge Herold von der Kunsthalle Mannheim herausgegeben wurde. Ré Soupault starb am 12. März 1996 in Versailles.
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