DIE WAHRHEIT : Die Befreiung Berlins vom Tourismus

Die Art und Weise, in der die beiden jungen Männer einander die Köpfe zuwenden und ihr verblüffter und doch entschlossener Gesichtsausdruck erinnern mich an ...

... John Travolta und Samuel L. Jackson in "Pulp Fiction", kurz bevor sie mit sechs präzisen Pistolenschüssen den jungen Mann niederstrecken, der sie kurz zuvor mit sechs nervösen Schüssen verfehlt hat. Wie Jackson und Travolta tragen auch die beiden Herren, die mir gegenüberstehen, eigenwillige Frisuren, zu meiner Beruhigung aber keine Handfeuerwaffen. Vielmehr wenden sie sich nun, einen einsilbigen Namen rufend, nach hinten, wo aus dem etwas verwahrlosten Gebäude der Boxer Butch auftaucht.

Dass Butch in "Pulp Fiction" Travolta mit dessen eigener Waffe erschießt, nutzt mir jetzt wenig. Dieser Berliner Butch kommt mit ausgestreckter rechter Hand auf mich zu, doch nicht etwa, um mir diese zu reichen, sondern um sie flach gegen meine Brust zu pressen, ohne seine Schritte zu verlangsamen. Ich kann mich nur dadurch auf den Beinen halten, dass ich kehrtmache und stolpernd das Weite suche. Wie konnte es so weit kommen?

Schon recht oft habe ich Berlin besucht. Es gefällt mir, hier Tourist zu sein, mich naseweis umzuschauen und Dinge wie Erwerbsarbeit, vereiste Kühlschränke und persönliche Vermögensberater fern in einer anderen Stadt zu wissen. Wieder einmal schlendere ich durch die Straßen der Hauptstadt und sehe in einem Hinterhof nahe des Rosenthaler Platzes das Graffito mit der Botschaft "Tourists Fuck Off", was, neben eher mildem Groll über die ungezogene Ansprache mir gegenüber, ein Gefühl der Sorge hinterlässt.

Besorgt bin ich darüber, dass es selbst im Zentrum dieser weltoffenen Stadt Menschen gibt, die statt in einer kosmopolitischen Metropole lieber in einer Art Pjöngjang oder Hannover leben wollen, und dies, ohne umziehen zu müssen. Ich beschließe, der Sache gleich auf den Grund zu gehen.

Selbstverständlich werde ich sofort als Tourist enttarnt, meine passabel sitzende Frisur und die Umhängetasche haben mich verraten. Die Anti-Touristen sind sogleich aufgescheucht, hat doch da einer ihre boshafte Botschaft ignoriert. Warum wir Touristen uns verficken respektive verpissen sollen, frage ich zwei plötzlich auftauchende Vertreter der eingesessenen Gemeinschaft. Immerhin befänden sich hier Antifa-Aufkleber an der Wand, und Antifaschisten seien ja Menschen, die das Fremde tendenziell eher als Bereicherung denn als Belästigung sehen, die "off fucken" sollte.

Und ob nicht Anti-Tourismus und Anti-Faschismus Widersprüche seien, insistiere ich, da Ersterer doch das Fremde bekämpft, der Zweite aber das Fremde vor dem bornierten Groll eingesessener Gemeinschaften in Schutz nimmt. Auf den verständnislosen Gesichtsausdruck der beiden hin hake ich nach, ob sie vielleicht Anti-Antifaschisten seien, weil sie Fremde, zumindest solche, die sich zu ihrem Pläsier durch Berlin bewegen, vertreiben wollen.

Die Art und Weise, in der die beiden jungen Männer einander jetzt die Köpfe zuwenden …

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kari

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