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Kolumne Das TuchMein Problem mit dem Gesichtsschleier

Kübra Gümüsay
Kolumne
von Kübra Gümüsay

Dürfen Frauen Männer unterrichten? Eine Diskussion in Ägypten.

E s ist unser dritter Tag in Kairo, und wir sind zum ersten Mal bei Nachbarn zum Essen eingeladen. Mina steht am Küchentresen und macht Hamburger. Dabei trägt sie ein langes Kleid, eine Hochsteckfrisur und ist geschminkt. Ihre Freundin sitzt in Hose und engem T-Shirt lässig auf dem Küchenstuhl und streicht sich die kurzen Haare aus dem Gesicht.

Wir Frauen unterhalten uns über das Leben in Kairo. Sie geben mir Einkaufstipps und empfehlen Restaurants. Wir sprechen über Sprachschulen und die islamische Universität Al-Azhar. Plötzlich baut sich Minas Freundin auf. Sie erzählt mir, sichtlich verärgert, dass es an der Universität Al-Azhar doch tatsächlich Frauen gäbe, die unterrichteten.

Ich sage, dass ich nichts Verwerfliches daran erkennen kann. Schließlich ist es doch selbstverständlich, dass Frauen Wissen erwerben und weitergeben. "Aber doch nicht an Männer!", ruft sie. Niemals würde sie sich an der Al-Azhar unterrichten lassen - nicht von einer Institution, die solche Frauen toleriere. Mina nickt zustimmend.

privat
KÜBRA GÜMÜSAY

22, lebt in Hamburg und studiert dort Politikwissenschaft. Daneben schreibt sie ihren Blog "Ein Fremdwörterbuch".

"Was ist denn schlimm an einer Frau, die unterrichtet? Auch du willst doch nicht bloß wegen eines Stück Tuchs verurteilt werden", entgegne ich. Sie schaut mich mit großen Augen an und sagt dann empört: "Schwester, ich trage einen Niqab [Gesichtsschleier]." Ich bin überrascht. Will weder sagen, was ich denke, noch was ich alles so tue.

Einige Wochen später fängt mein Arabischkurs an. Ich bin froh und euphorisch, will das Land und die Leute besser verstehen. Im Klassenzimmer warte ich auf meine Lehrerin. Dann betritt meine Lehrerin Reehan den Raum. Sie trägt einen Niqab. Plötzlich fühle ich mich unwohl. "Du bist doch offen und liberal, Äußerlichkeiten sind dir nicht wichtig", sage ich mir. Reehan schließt die Tür und nimmt ihren Schleier ab. Freundlich begrüßt sie mich und fängt mit dem Unterricht an. Ich lerne nicht viel an diesem Tag.

Ich beschließe, ich will Reehan kennenlernen. Zu Beginn der nächsten Unterrichtsstunde sage ich, dass ich dieses Mal das Reden üben möchte und schieße gleich mit der ersten Frage los: "Warst du auch auf dem Tahrirplatz?" "Selbstverständlich", sagt sie. Sie kramt ihr Handy heraus, setzt sich neben mich und zeigt mir Fotos von der Revolution. Dabei erklärt sie mir die Bilder und schreibt gleichzeitig neue Vokabeln auf.

Sie liest mir ein Protestschild vor, bei dem es um den ehemaligen ägyptischen Polizeipräsidenten geht. "Er ist ein schlechter Mann. Er hat versucht Muslime und Christen auseinanderzutreiben, indem er in Alexandria einen Anschlag auf eine Kirche verüben ließ." "Warum?", frage ich. "Um die Bevölkerung von ihren Machenschaften abzulenken", erklärt Reehan. Dann erzählt sie davon, wie sie die Kopten beschützten und die Kopten sie beschützten. Dass Religion in solchen Fällen egal ist, dass sie alle zusammengehören, weil sie Ägypter sind.

Bei einem Bild bleiben wir hängen. Es ist Nacht, überall sind protestierende Menschen zu sehen. Dazwischen steht ein großes Stück Stoff in Grau mit einer ägyptischen Flagge. "Das bin ich!", sagt Reehan und lacht - zusammen mit mir.

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Kübra Gümüsay
Jahrgang 1988. Autorin des Bestsellers "Sprache und Sein" (Hanser Berlin, 2020). Bis 2013 Kolumnistin der Taz. Schreibt über Sprache, Diskurskultur, Feminismus und Antirassismus.

18 Kommentare

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  • S
    sanne

    liebe kübra,

    dein unbehagen gegenüber dem anblick einer vollverschleierten wird gute gründe haben. spür denen doch mal nach. wie soll ein mensch einer person gegenüber sympathie und verständnis entwickeln, die als person nicht sichtbar ist und offenkundig nicht sichtbar sein will!

     

    mir wär ein kalter schauer über den rücken gelaufen beim anblick des fotos der bekannten. schließlich ist SIE darauf gar nicht sichtbar wegen des niqab's, was sie auch noch amüsiert. hier fehlt mir das einfühlungsvermögen: warum frau ihre grüńdliche selbstverleugnung in der öffentlichkeit witzig finden kann. ist doch unendlich traurig!

     

    die islamischen gebote, die das tragen des niqab rechtfertigen sind von erzkonservativen geistlichen praktisch erfunden worden - stimmt das nicht?

     

    und was wird männern damit unterstellt? dass sie schon der anblick des gesichts einer frau zu animalischen lüstlingen macht? dass sie das bedürfnis, das recht und die pflicht haben, frauen zu geschlechtslosen objekten zu degradieren?

     

    dieser kolumnentext ist leider vollkommen unreflektiert. du schreibst nur über deine gefühle der zerissenheit, dein bemühen darum, das bild einer aufgeschlossenen, toleranten usw. frau, das du von dir selbst hast, aufrechterhalten zu können. ist der niqab in ägypten nicht ein politikum an dem sich die geister scheiden? dazu kein wort.

     

    schade, bin enttäuscht. das kannst du sehr viel besser!

  • H
    Heidi

    so what? wie geht's weiter?

  • H
    halil

    Und wieviel Kopten wurden danach umgebracht?Wieviele Kirchen zerstört?

  • D
    dagegen

    Das anfängliche "Problem" mit dem Gesichtsschleier löst sich für die Autorin am Ende des Artikels auf, denn die Arabischlehrerin war auch auf dem Tahrirplatz, sie ist gegen Anschläge auf Christen und lacht gemeinsam mit der Autorin, die NUR ein Kopftuch trägt.

     

    Hier geht es der Autorin darum uns eine sympathische Gesichtsschleier tragende Frau vorzustellen mit dem Ziel mir die islamischen Bekleidungsvorschriften schön zu schreiben. Könnte man auch auf Burkinis und weitere Bekleidungs-und Verhaltensvorschriften übertragen.

     

    Warum berichtet ihr nicht einmal über den Zentralrat der Ex-Muslime ?! Über diese Menschen, die aus islamischen Ländern geflohen oder dem Islam den Rücken gekehrt haben und bedroht werden und nun hier eine wachsende Ausbreitung und Verfestigung des Islam erleben.

  • W
    Wenstruba

    Na wenn das alles nicht so ein Problem mit der Niquab ist, dann lasst sie uns doch für alle Frauen, egal welcher Religion oder Nichtreligion einführen! Bin mal gespannt, was die Männer in Deutschland dazu sagen, wenn die uns nicht mehr auf und nach Äußerlichkeiten beurteilen und auswählen wollen.

     

    Nein das war ein Witz, ich bin gegen die verniedlichung jeder Diskriminierung der Frau und ganz oben auf steht für mich die unglaubliche Verhüllung jeglichen Körperteils gem. Gruppen- oder sonst eines zwangs. Hat die TAZ-Redaktion eigentlich schon gemeinschaftliche Kopftücher eingeführt? Ich verstehe das nicht, dass Frauen so tun, als sei das witzig oder albern. Es geht um Krieg gegen die Frauen, ganauso wie ihn Marliyn French 1992 in ihrem Buch beschrieb.

     

    Frauen wehrt euch! Venceremos! Vivan las mujeres del mundo, vivan!

  • BA
    bitte anonym

    Eines der Gruende warum eine Frau welche dem SLM zugehoert, normalerweise, die ' Stirn' bedeckt, welche wie frueher bei Nonnen, 'eng' ueber die Stirn und 'Augenbrauen' gezogen wurde, war damit man die Stirn und Augenbrauen nicht Kruseln konnte wenn man in der Oeffentlichkeit ist, damit man Friedlich und Ruhig gegenueber seinen Mitmenschen bleibt, weil wenn man die Augenbrauen nicht zusammenziehen kann, oder die Stirn runzeln, bleibt man automatisch ruhig - da diese Muskeln keine 'Spannung' erzeugen koennen, vor allem wenn man bedenkt das das Wort ' SLM' (Sin-lamet-mem) Salam, also Frieden, bedeutet, ; )

     

    Ein anderer Grund ist, um die Koenigin zu schuetzen, und sich alle Schwestern verschleierten damit die Koenigin, welche eine Krone auf ihrer Stirn hat, sich ungesehen in der Stadt bewegen kann, ohne erkannt zu werden, und alle Schwestern (Nonnen) sich verschleierten.

     

    Ma'a'salama

  • EC
    El Commandante

    Das ist ja eig auch ganz witzig wieder einmal zu sehen wie sich, vor allem Männer, darüber aufregen, was sie selbst im Laufe der Geschichte produziert haben nämlich die Unterdrückung der Frau. Und dann noch einen auf Aufgeklärt zu schieben, ist natürlich obligatorisch! Wie hieß es doch gleich? Richtet nicht sonst werdet ihr gerichtet werden?!

  • VU
    Von Uschie

    Wer sind "wir" (ChristInnen, AtheistInnen, AgnostikerInnen u.s.w) denn, dass wir uns anmaßen darüber zu urteilen, dass eine muslimische Frau sich verhüllt oder Kopftuch trägt?

    Warum sollte die moderne Muslima unterdrückter sein als die moderne Christin oder Atheistin?

    Überall im Land kann man sexistische Werbung entdecken, die Frauen als verfügbare, wunderschön gephotoshopte Sexualobjekte darstellt. Auch ein Unterdrückungsmechanismus des übrigens christlich-jüdisch-atheistischen Patrichariats. Wieso räumen "wir" nicht erstmal im eigenen Lager auf, bevor anklagend auf Menschen anderer Religionen gezeigt wird?

  • K
    Kalle

    Möchte mich Heidi anschließen:

    Was is denn hier die Kernaussage?

     

    Dass es gar keine gibt und schlicht jedwede Befindlichkeit und jedweder Aufenthaltsort der Autorin ihr (und was viel schlimmer ist: der taz) bereits einen Artikel wert ist, ist hier leider noch die freundlichste Interpretation.

     

    Leider ist die gehässigere Interpretation auch die wahrscheinlichere: Gezeigt werden soll, dass die dümmsten Vorurteile, den geringstgen Emanzipationsgrad und die apolitischste Haltung die Frauen mit Hochsteckfrisuren und engen T-Shirts haben.

    Vourteilslos, gebildet und politisch engagiert sind hingegen die Frauen, die Niqab tragen.

    Überhaupt steigen derartige Qualitäten in Frauen proportional zu den sie verhüllenden Stoffmengen.

     

    Also Frau Gümüsay, warum zeigen Sie uns denn immer noch ihr Gesicht? Dass scheint mir aber nicht genügend emanzipiert...

  • H
    Harald

    Kopftuch oder Ganzschleier. Beides ist Ausdruck einer Frauenrolle, die von Männern definiert- und vor allem gewährt wird: Das Gegenteil von Selbstbestimmung.

     

    Definiert und gewährt von einer Männerrolle, die eine religiös verbrämte, totalitäre und mittelalterliche Herrschaftsideologie zur Geltung diktieren will.

     

    Wer in diesem Umfeld von zwanghaften Verhaltensnormen aufwächst, vermag sich nur schwer davon zu lösen. Die Unterdrückung, die im Kopfschleier ihren äußeren Ausdruck findet, ist letztlich nichts anderes, als eine normative Form des Stockholm-Syndroms.

     

    Wir fallen zurück. Hinter Margarete Mitscherlich, Alice Miller, Simone de Beauvoir.

    Kübra Gümüsay macht vor, wie es geht.

  • L
    lisa

    Was gibt es da zu lachen? Es ist traurig, tieftraurig, dass mutige Frauen, die für Freiheit und Demokratie kämpfen, sich in unförmige Lappen hüllen. Ein Niqab ist nicht einfach nur eine Äußerlichkeit, die es als weltoffener Mensch zu tolerieren gilt. Frauen machen sich dadurch klein und demütig und verstecken sich, und warum? Weil es die Männer dort nicht gelernt haben, sich selber zu begrenzen. Also müssen die Frauen begrenzt werden. Und dann noch das Deckmäntelchen Religion obendrauf. Da gibt es wirklich nichts zu lachen.

  • S
    sanne

    "dein unbehagen gegenüber dem anblick einer vollverschleierten"

     

    sorry, voll daneben (bin gerade etwas von der rolle);

     

    meinte natürlich: dein unbehagen beim anblick ...

  • S
    suswe

    Kennen Sie die Bücher von Hamed Abdel Samad?

  • S
    sanne

    liebe kübra,

    dein unbehagen gegenüber dem anblick einer vollverschleierten wird gute gründe haben. spür denen doch mal nach. wie soll ein mensch einer person gegenüber sympathie und verständnis entwickeln, die als person nicht sichtbar ist und offenkundig nicht sichtbar sein will!

     

    mir wär ein kalter schauer über den rücken gelaufen beim anblick des fotos der bekannten. schließlich ist SIE darauf gar nicht sichtbar wegen des niqab's, was sie auch noch amüsiert. hier fehlt mir das einfühlungsvermögen: warum frau ihre grüńdliche selbstverleugnung in der öffentlichkeit witzig finden kann. ist doch unendlich traurig!

     

    die islamischen gebote, die das tragen des niqab rechtfertigen sind von erzkonservativen geistlichen praktisch erfunden worden - stimmt das nicht?

     

    und was wird männern damit unterstellt? dass sie schon der anblick des gesichts einer frau zu animalischen lüstlingen macht? dass sie das bedürfnis, das recht und die pflicht haben, frauen zu geschlechtslosen objekten zu degradieren?

     

    dieser kolumnentext ist leider vollkommen unreflektiert. du schreibst nur über deine gefühle der zerissenheit, dein bemühen darum, das bild einer aufgeschlossenen, toleranten usw. frau, das du von dir selbst hast, aufrechterhalten zu können. ist der niqab in ägypten nicht ein politikum an dem sich die geister scheiden? dazu kein wort.

     

    schade, bin enttäuscht. das kannst du sehr viel besser!

  • H
    Heidi

    so what? wie geht's weiter?

  • H
    halil

    Und wieviel Kopten wurden danach umgebracht?Wieviele Kirchen zerstört?

  • D
    dagegen

    Das anfängliche "Problem" mit dem Gesichtsschleier löst sich für die Autorin am Ende des Artikels auf, denn die Arabischlehrerin war auch auf dem Tahrirplatz, sie ist gegen Anschläge auf Christen und lacht gemeinsam mit der Autorin, die NUR ein Kopftuch trägt.

     

    Hier geht es der Autorin darum uns eine sympathische Gesichtsschleier tragende Frau vorzustellen mit dem Ziel mir die islamischen Bekleidungsvorschriften schön zu schreiben. Könnte man auch auf Burkinis und weitere Bekleidungs-und Verhaltensvorschriften übertragen.

     

    Warum berichtet ihr nicht einmal über den Zentralrat der Ex-Muslime ?! Über diese Menschen, die aus islamischen Ländern geflohen oder dem Islam den Rücken gekehrt haben und bedroht werden und nun hier eine wachsende Ausbreitung und Verfestigung des Islam erleben.

  • W
    Wenstruba

    Na wenn das alles nicht so ein Problem mit der Niquab ist, dann lasst sie uns doch für alle Frauen, egal welcher Religion oder Nichtreligion einführen! Bin mal gespannt, was die Männer in Deutschland dazu sagen, wenn die uns nicht mehr auf und nach Äußerlichkeiten beurteilen und auswählen wollen.

     

    Nein das war ein Witz, ich bin gegen die verniedlichung jeder Diskriminierung der Frau und ganz oben auf steht für mich die unglaubliche Verhüllung jeglichen Körperteils gem. Gruppen- oder sonst eines zwangs. Hat die TAZ-Redaktion eigentlich schon gemeinschaftliche Kopftücher eingeführt? Ich verstehe das nicht, dass Frauen so tun, als sei das witzig oder albern. Es geht um Krieg gegen die Frauen, ganauso wie ihn Marliyn French 1992 in ihrem Buch beschrieb.

     

    Frauen wehrt euch! Venceremos! Vivan las mujeres del mundo, vivan!