Kommentar Flüchtlinge in der EU: Wenn zwei sich streiten

Die EU gibt gleichzeitig Italien und Frankreich recht: Beide hätten die tunesischen Flüchtlinge korrekt gehandelt. Ein gefährliches salomonisches Urteil.

Ja was denn nun? Da streiten sich zwei Geschwister wie die Kesselflicker - und Mama tritt mit dem salomonischen Urteil hinzu: "Ihr habt beide recht." Mit gutem Grund würden die Kleinen sich über die Geistesverfassung ihrer Mama wundern, die beiden Streithanseln ermunternd auf die Schultern klopft.

Ebendies hat jetzt die EU-Kommission getan, angerufen von Frankreich wie von Italien; beide beanspruchten für sich, im Streit über die 25.000 im Februar und März über Lampedusa eingereisten tunesischen Flüchtlinge korrekt gehandelt zu haben. Frankreich war erbost, weil Italien den Flüchtlingen eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis samt Papieren zur Weiterreise in andere EU-Länder ausgestellt hatte. Und Italien ärgerte sich, weil die französischen Beamten mit Grenzkontrollen, an einem Tag sogar mit dem Stopp des grenzüberschreitenden Zugverkehrs reagiert hatte.

Natürlich liegt auf der Hand, dass Italien das Problem so loswerden wollte. Es liegt genauso auf der Hand, dass Frankreich (unterstützt von Deutschland) Italien darauf festnageln wollte, allein des Andrangs der Tunesier Herr werden zu müssen. Und die EU? Sie verweigert auch jetzt wieder die Formulierung einer klaren Position. Recht hatten die Italiener also, weil sie kurzfristig humanitäre Erwägungen in Anschlag brachten (schon vom 6. April an wurden die ankommenden Tunesier wieder ins Heimatland zurückgeschafft); recht hatten ihrerseits die Franzosen, die die "rechtmäßigen" Reisetitel der Tunesier anzweifelten.

MICHAEL BRAUN ist Italien-Korrespondent der taz.

Möglich ist dies nur, weil der "Ansturm", um den es da geht, mittlerweile der Vergangenheit angehört. Doch sobald neue Flüchtlingsströme einsetzen, steht die EU erneut vor dem Problem: Will sie intern Solidarität praktizieren oder nicht?

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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