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Deutsche Schule in ChileRauswurf wegen Schülerversammlung

Weil eine Schülerin in Chile eine Versammlung im Pausenhof angesetzt hatte, musste sie die Schule verlassen. Diese wird auch mit deutschen Steuergeldern unterstützt.

Lorena Mussa (l.) und der sozialistische Senator Alejandro Navarro vor dem ersten Gerichtstermin Bild: República de Arica

PORTO ALEGRE taz | So schnell wird man zur Persona non grata: Weil die 17-jährige Lorena Mussa ihre Mitschüler per Facebook zu einer Kurzversammlung in der Morgenpause aufrief, wurde sie der Schule verwiesen. Ihr Vergehen: Fünf Minuten lang redete Lorena, Schülerin im chilenischen Arica, über die landesweiten Schüler- und Studentenproteste, die Chile seit Mitte Juni in Atem halten. Auch in Arica wird jede Woche gegen das ungerechte Bildungssystem demonstriert, das auf die Pinochetdiktatur (1973-90) zurückgeht.

Ihre Schule, das Colegio Alemán, ist eine private Schule, doch nicht irgendeine. Sie schmückt sich mit dem Label "Deutsche Schule". Das heißt, die derzeit 870 Schüler lernen vom Kindergarten an Deutsch und können sich für die Prüfung "Fit in Deutsch" anmelden. Im Rahmen des vom Berliner Auswärtigen Amt aufgelegten Programms "Schulen - Partner der Zukunft" wird die Schule vom Goethe-Institut Santiago betreut. Das Goethe-Institut finanziert auch Computer, Bücher, Feriencamps oder Lehrerfortbildungen mit. Die Goethe-Institute erhalten wiederum zwei Drittel ihres Etats vom Auswärtigen Amt, also von der Bundesregierung.

In erster Linie gehe es an den FIT-Schulen um exzellenten Deutschunterricht, so Christoph Mücher, Sprecher der Zentrale der Goethe-Institute, zur taz. Der Unterricht sei jedoch von der Vermittlung demokratischer Werte nicht zu trennen. "Unsere Didaktik ist gelebte Demokratie, die Schüler bekommen das Gefühl, dass sie sprechen dürfen und ihre Meinung zählt", so Mücher.

Doch genau dieses Gefühl hatte Lorena Mussa nicht. Nach der Versammlung wurde sie zusammen mit drei weiteren "Aufrührerinnen" bis um vier Uhr nachmittags in die Bibliothek verbannt. Die Schuldirektorin und Tochter der Gründerin, Luz Marina Osorio, verfügte vor einem Monat ihren Ausschluss von der Schule. "Das war keine Informationsveranstaltung", sagte Osorio gegenüber der taz, "sie hat zur Besetzung der Schule aufgewiegelt, zur Revolution." Mussa sei weder Klassensprecherin noch im Schülerrat vertreten: "Ihr ganzes Verhalten steht im Gegensatz zu unserem pädagogischen Projekt, sie vertritt das Denken einer Minderheit."

Im Internet zog die Strafmaßnahme rasch Kreise, chilenische und brasilianische Alternativmedien berichteten. "Ich bitte Sie, auch um das Ansehen meines Heimatlandes Deutschland in Chile zu wahren, den Ausschluss Lorenas umgehend rückgängig zu machen", schrieb der in Südchile ansässige deutsche Staatsbürger Reinhard Fitzek an die Schule _- eine *Kopie* schickte er an taz.de.

Lorena und ihre Eltern zogen gegen die Entscheidung der Schule im Juli vor Gericht und bekamen Recht. In der vergangenen Woche hob das Appellationsgericht von Arica den Rauswurf einstimmig auf. Das Verhalten von Schulleiterin Osorio bezeichneten die Richter als "willkürlich, also aus purer Laune heraus". Seit Dienstag geht Lorena also wieder zur Schule.

Doch die Schulleitung möchte sie ungeachtet des Gerichtsurteils weiter loswerden. Direktorin Luz Marina Osorio zog umgehend vor den Obersten Gerichtshof. "Wir sind bereit, die Suspendierung zu überdenken, wenn die Schülerin einräumt, dass sie gegen die Prinzipien des pädagogischen Projekts verstoßen hat", sagt sie.

Lorena Mussa denkt nicht daran: "Nach vier Wochen bin ich sehr gut von meinen Mitschülern aufgenommen worden", berichtet sie, "auch viele Lehrer haben mir freundlich zugenickt."

Vom Fall Lorena Mussa und ihrem Rauswurf erfuhren die Vertreterinnen des Schulprogramms in Santiago und Buenos Aires erst durch die taz. In die Angelegenheiten der Schulen mische sich das Goethe-Institut aber "in der Regel" nicht ein, so Sprecher Mücher.

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9 Kommentare

 / 
  • A
    ABC

    Ich habe 1995 - mal 2 Tage in einer deutschen Schule in Chile verbracht. Meine Vorurteile über die deutsche Minderheit und deren Schulen wurden dort um Längen übertroffen. Obwohl - immerhin hatten sie schon schwarz-rot-gold geflaggt.

    Ich hatte gehofft, das sich in den 15 Jahren danach etwas geändert hat. Ich denke, man sollte schon überlegen, ob solche - ja zumeist privaten und eher elitären Institutionen mit Steuergeldern unterstützt werden sollten. Warum kann man denn nicht lieber deutsche Lehrer an staatliche Schulen im Ausland schicken? Hätte einen viel größeren Effekt für die Verbreitung der Sprache und das Ansehen Deutschlands.

  • J
    Joachim

    Das Goethe-Institut unterstützt die Schulen im Bezug auf den Deutschunterricht und fördert sie mit Büchern und technischem Equipment. Die Rolle die dem Goethe-Institut in diesem Artikel beigemessen wird ist völlig falsch interpretiert.

  • N
    Nena

    Genau das ist der Fall- mit dem deutschen Geldern werden Auslandsschulen gefoerdert, die in teils extrem repressiver Atmosphaere nationalistische und intolerante Strukturen foerdern, ein veraltetes Deutschlandbild vermitteln und "Andersdenkende" -wobei man im Zuge der massiven chilenischen Schueler- und Studentenbewegung eher die Gegner der Proteste als "Andersdenkende" bezeichnen muesste (was die Leitung eines Colegio Alemans selbstverstaendlich niemals akzeptieren wuerde)dann halt lieber der Schule verweisen. Ich arbeite als Freiwillige an einer Deutschen Schule in Chile und bin mir sehr sicher, dass man hier genau so handeln wuerde wie in Arica, sollte ein Schueler es wagen, "revolutionaere Parolen" zu verbreiten. Das ist kein Einzelfall, der auf einer "willkuerlichen" Entscheidung der Direktorin beruht. Ich wuerde es eher als systematisches Vorgehen im Kampf um die Erhaltung der Elite der Deutschen Schulen in Chile bezeichnen.

  • MR
    Michael Reichenbach

    Es stellt sich generell die Frage, inwieweit mit dem Geld aus Deutschland an den Deutschen Auslandschulen undemokratische Strukturen gefördert oder zumindest geduldet werden. Wäre es nicht sinnvoll oder notwendig, dies genauer zu kontrollieren und den Schulen einen demokratischen Verhaltenskodex, vor allem im Bezug auf die sozialen Rechte der Arbeitnehmer, aufzuerlegen. So dass die Deutschen Schulen als Leuchttürem der demokratischen Erziehung in den jeweiligen Ländern dienen.

  • W
    wernerinitaly

    wie man weiß, hat man in Chile vor nicht allzu langer Zeit den reichsten Mann des Landes zum Präsidenten gewählt, eine nette Parallele zu meinem Wohnort Italien.

    Darüberhinaus erinnere ich mich an den Plan der vorigen Präsidentin, das Land gerade im Bildungsbereich substantiell voranzubringen und an einen Fond aus Einnahmen aus dem Kupferexport, der zu diesem Zweck gebildet wurde.

     

    Wenn jetzt en passant von einem ungerechten Bildungssystem gesprochen wird, das auf ie Pinochet Diktatur zurückgeht, dann wünscht man sich allerdings mehr Informationen zu den hier angesprochenen Punkten, erheblich mehr Informationen.

  • B
    Benjamin

    @ Cristián: Nana, schau mal hier, Artikel in der taz vom 1.7.:

    http://taz.de/!73653/

     

    Weiterhin empfehle ich die aufmerksame Lektüre des tazblog Latin@rama, da gibt's mehrere Artikel zum Thema z.B. hier:

    http://blogs.taz.de/latinorama/2011/07/06/chile_hunderttausende_verlieren_die_geduld_/

    und hier:

    http://blogs.taz.de/latinorama/2011/07/20/harry_potter_und_die_revolution/

     

    Gruss Benjamin

  • GD
    Gerhard Dilger

    @ Cristián: Es ist nicht das erste Mal, dass wir über die Bewegung berichten - zuletzt hier: http://taz.de/Protestwelle-in-Chile/!73653/ -, und wir bleiben am Ball!

  • C
    Cristián

    Ich frage mich weshalb es über die Studentenbewegung in Chile erst berichtet wird wenn etwas in der einer deutschen Schule passiert. Zu viel Deutschlanbezug sollte nicht daran hindern, über das zu schreiben, was sich sonst im Land abspielt: in den letzten Tagen fanden die massivsten Demonstrationen seit dem Ende der Diktatur statt, die Bevölkerung scheint aus einem langen Dornröschenschlaf zu erwachen, die Studenten sind in der Lage, die Regierung unter so einen erheblichen Druck zu setzen, dass es eine bedeutende Kabinettsumbildung zur Folge hatte. Aber für die deutsche Medienlandshaft scheint all dies nicht interessant genug zu sein, es sei denn es gibt richtig Kravalle oder eine deutsche Institution ist betroffen. Als chilenischer Bürger würde ich mich auf eine intensiverer Berichterstattung sehr freuen, nicht nur meinetewegen, sondern auch weil die chilenische Regierung den Druck der internationallen Öffentlichkeit spüren muss, die auch erfahren soll, dass die chilenische Studenten beim Kampf um eine anständige Bildung sich vorbildlich organisieren.

  • R
    Rainer

    "In die Angelegenheiten der Schulen mische sich das Goethe-Institut aber "in der Regel" nicht ein, so Sprecher Mücher."

     

    Hier könnte - und sollte - man eine Ausnahme von dieser Regel machen.