Schwules Paar über das Gelingen einer Ehe: "Ätsch, wir können es viel besser"
Heute jährt sich das Lebenspartnerschaftsgesetz zum zehnten Mal: Fred und Thomas Rikkers gehören zu den ersten homosexuellen Paaren, die am 1. August 2001 in Hamburg geheiratet haben.
taz: Heute vor zehn Jahren haben Sie als eines der deutschlandweit ersten homosexuellen Paare in Hamburg-Altona geheiratet. In welchen Klamotten?
Fred Rikkers: Wir trugen beide schwarze Lederhosen. Wir wollten heiraten, wie wir uns wohlfühlen. Im Anzug zu heiraten, wäre für uns nicht in Frage gekommen.
Thomas Rikkers: Im Anzug? Eine richtige Horrorvorstellung. Das machen ja alle so. Sicherlich war auch eine Portion Rebellion dabei. Aber wir tragen nun mal gerne Lederfetisch-Klamotten, das wollten wir nicht verheimlichen.
Aber Ringe haben Sie schon getauscht?
Fred: Ja, abgesehen von unserer Kleidung war die Prozedur eigentlich ganz klassisch.
Thomas: Mit Ringen, mit dem Hochzeitskuss - so, wie es sich gehört.
46, aufgewachsen in West-Berlin.
Coming-Out mit 24 Jahren. Der Liebe wegen 1993 nach Hamburg gezogen. Seit dem 1. August 2001 mit Fred Rikkers verheiratet, dessen Nachname er angenommen hat.
Gelernter Arzthelfer, hat aber einen "Helferinnenbrief", weil es damals noch kaum männliche Arzthelfer gab. Das Arbeitsamt hätte ihn lieber als Stahlbauer gesehen. Doch Thomas Rikkers hat seinen Kopf durchgesetzt.
Später Erzieher von körperlich und geistig Mehrfachbehinderten, ab Anfang 2000 Verkäufer in einem schwul-lesbischen Szeneladen auf Sankt Pauli. Nach dessen Schließung Sachbearbeiter für Elektrotechnik.
An diesem Tag schwebten Sie sicherlich im siebten Himmel.
Thomas: Schon, aber es gab dann auch einen bedauerlichen Zwischenfall, der uns knallhart auf den Boden zurückgeholt hat.
Was ist passiert?
Thomas: Auf dem Rathausplatz, wir waren auf dem Weg zum Senatsempfang, trat ein älterer Herr auf uns zu. Einer, der aus der Kriegszeit übrig geblieben ist. Fadengerade sagte er uns ins Gesicht: "So was wie euch hätte man früher vergast." Da bleibt einem erst einmal die Spucke weg, eine passende Reaktion fällt einem nicht ein. Das hat mich tief getroffen, das war ein richtiger Schlag unter die Gürtellinie.
Das war vor zehn Jahren. Hat sich denn die Akzeptanz für Homosexuelle mittlerweile gebessert?
Thomas: Noch sind wir weit davon entfernt, von Normalität sprechen zu können. Immer wieder passiert es, dass wir angepöbelt werden, wenn wir abends durch die Stadt spazieren oder mit der U-Bahn fahren.
Fred: Ich reagiere da gar nicht drauf, das geht bei mir beim einen Ohr rein und beim anderen wieder raus.
43, aufgewachsen in Kruiningen in der niederländischen Provinz Zeeland nahe der belgischen Grenze. Zog als junger Erwachsener nach Den Haag, um sich zum Krankenpfleger ausbilden zu lassen.
Coming-Out mit 17 Jahren. Infizierte sich 1983 mit HIV, vermutlich bei einem Freund aus Indonesien, der bald darauf verstarb. Als Todesursache nannte man die "Papageien-Krankheit", später AIDS getauft.
Siedelte 1993 nach Hamburg über, arbeitet seither als Krankenpfleger im Universitätsklinikum.
Thomas: Mir fällt es schwerer, in solchen Situationen ruhig zu bleiben. Ich habe das Gefühl, dass diese anti-schwule Gewalt in letzter Zeit sogar eher wieder zugenommen hat.
Welche Sprüche müssen Sie sich anhören?
Thomas: "Schwule Sau" ist Standard. Die Jugendlichen sind ja die großen Macker, wenn sie ein bisschen alkoholisiert sind. Dann halten sie sich für die Größten. In St. Georg ist es besonders schlimm.
Wie fielen denn die Reaktionen auf Ihre Heirat aus?
Thomas: Insgesamt erfreulich positiv, vor allem auch in den Medien. Plötzlich aber hatten wir Post im Briefkasten, von jemandem, der uns im Fernsehen gesehen haben muss: eine Morddrohung, natürlich anonym. Das war ein erneuter Tritt gegen das Schienbein.
Von "Ehe" zu sprechen ist ja eigentlich nicht ganz korrekt. Offiziell wird Ihre Beziehung "Eingetragene Lebenspartnerschaft" genannt. Weshalb eigentlich?
Thomas: Schuld daran trägt die Kirche, deshalb bin ich dann auch ausgetreten. Die Kirche hat festgelegt: Ehe nur zwischen Mann und Frau. Weil wir biologisch keine Nachkommen zeugen können, müsse unser Ding anders heißen. Da hat man sich dieses Wortungetüm ausgedacht: "Eingetragene Lebenspartnerschaft". Ein völlig inakzeptabler Kompromiss, denn wir leben ja genau gleich wie in einer "normalen" Ehe zwischen Mann und Frau.
Vermissen Sie den Rückhalt aus der Politik?
Fred: Die ganze Gesellschaft muss sich wandeln. Aber es stimmt, auch die Politiker müssten ihren Hintern in Bewegung setzen. In der CDU zum Beispiel ist in den letzten zehn Jahren kaum etwas passiert, auch wenn es in dieser Partei homosexuelle Politiker gibt. Aber Schwule gibt es ja sogar in der NPD.
Seit einiger Zeit hat Deutschland einen schwulen Außenminister. Hat der den Rechten von Homosexuellen etwas gebracht?
Thomas: Definitiv nicht. Guido Westerwelle hat unseren Interessen sogar eher geschadet. Wenn man ihn als Gradmesser nimmt, könnte man ja meinen, Schwule und Lesben nicht ernst nehmen zu müssen. Genauso schlecht verkauft hat sich übrigens der Hamburger Alt-Bürgermeister Ole von Beust. Für eine so offene Stadt wie Hamburg ist es ein Trauerspiel, dass er nie öffentlich Position bezogen hat. Der hätte seinen Arsch in der Hose haben und klarstellen müssen: Ja, ich bin schwul, und es ist gut so. Stattdessen ließ er sich von seinem Vater outen. Das war nur noch peinlich.
Im Lebenspartnerschaftsgesetz, das vor zehn Jahren in Kraft trat, heißt es: "Sie tragen füreinander Verantwortung." Wie kommen Sie dieser Verantwortung nach?
Fred: Einerseits bedeutet das, für den anderen finanzielle Verantwortung zu übernehmen. Thomas ist vor kurzem gekündigt worden, jetzt ist er krankgeschrieben. Da muss man zusammenhalten.
Thomas: Dazu kommt natürlich das Zwischenmenschliche, dass man sich gegenseitig trägt. Im vergangenen Jahr hatte ich psychische Probleme; ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn ich Fred nicht gehabt hätte. Seine emotionale Bindung hat mich möglicherweise vor einer Kurzschlusshandlung bewahrt.
Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?
Thomas: Das war auf einer Geburtstagsfeier eines gemeinsamen Freundes vor 13 Jahren, am 17. Januar 1998. Fred ist als Letzter gekommen, viel zu spät, wie er es gerne tut. Er ist mir zwar schon aufgefallen, aber ich hab mich mit einem anderen Mann verabredet, um am nächsten Abend in ein Szenelokal zu gehen. Fred hat das gehört - und ist dann ebenfalls aufgekreuzt.
Und dann hat es gleich zwischen Ihnen gefunkt?
Thomas: Eigentlich war ich zu dieser Zeit nicht bereit, mich zu verlieben. Ich hatte mich gerade erst von meinem damaligen Partner getrennt und wollte erst einmal die Freiheit genießen. Aber Fred hat es einfach geschickt angestellt: Ich habe bei ihm übernachtet, er musste aber früh zur Arbeit. Er hat mir seinen Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt und mich ermutigt, mich umzudrehen und weiterzuschlafen. So hat er mir signalisiert: Bleib mal hier, du bist erwünscht!
Und bald waren Sie ein Herz und eine Seele?
Thomas: Fred hat ein Problem, er ist HIV-positiv. Das hat er mir drei Wochen, nachdem wir uns kennengelernt haben, erzählt - ganz vorsichtig, mit fragendem Blick: Na, stehst du jetzt auf und gehst? Ich bin geblieben. Dass er mich so rasch in sein Geheimnis eingeweiht hat, zeigte mir, dass schon ein tiefes Vertrauen da war. Unsere Beziehung hat das weitergebracht.
Nach drei Jahren haben Sie geheiratet. Aber warum eigentlich gleich am erstmöglichen Tag?
Fred: Alles war enorm kurzfristig. 13 Tage zuvor wies das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Beschwerden der Bundesländer Bayern und Sachsen ab und gab grünes Licht.
Thomas: Drei Minuten nach der Urteilsverkündung klingelte bei uns das Telefon, und Politiker, die sich für Schwulen-Rechte eingesetzt hatten, sagten: "So Mädels, ihr habt 13 Tage Zeit - am 1. August seid ihr fällig!"
Fred: Es war für uns klar, dass wir am ersten Tag heiraten wollten. Es war wichtig, ein für die Öffentlichkeit möglichst starkes Zeichen zu setzen. Mit der Massentrauung in Altona ist uns dies gelungen.
Gibt es keine logistischen Probleme, wenn man eine Hochzeit in nicht einmal zwei Wochen zu organisieren hat?
Thomas: Doch, und zwar vor allem, weil wir unsere Mütter als Trauzeugen gewinnen wollten. Die hatten Jahre zuvor aber schon enorme Schwierigkeiten, unsere Homosexualität zu akzeptieren. Beide hatten wir jahrelang keinen Kontakt mit unseren Eltern. Und so brauchte es eine gehörige Portion Überredungskunst.
Fred: Meine Großmutter zwang meine Mutter, überhaupt nach Hamburg zu reisen. Dass sie sogar Trauzeugin sein würde, habe ich ihr nicht gesagt. Die Standesbeamtin hat ihr einfach den Trauschein hingestreckt, und sie war so überrumpelt, dass sie widerstandslos unterschrieb.
Thomas: Mittlerweile stehen beide Mütter zu uns. Im Bekanntenkreis spricht meine Mutter von ihrem Schwiegersohn, als ob nichts wäre.
Die Scheidungsraten von heterosexuellen Paaren liegen bedeutend höher als jene von Homosexuellen. Was ist das Erfolgsgeheimnis Ihrer Ehe?
Thomas: Wichtig ist, dass wir uns Freiheiten geben, auf allen Ebenen. Denn wir wissen, was wir aneinander haben. Wir sind im Umgang bestimmt offener als "normale" heterosexuelle Paare. Fred hat seine Interessen, die von meinen teilweise erheblich abweichen.
Fred: Zum Beispiel stehe ich auf andere sexuelle Spielarten. Trotz Ehe kann ich diese ausleben. Aber auch unsere Freizeitgestaltung ist verschieden: Während ich gerne in Szenelokalen unterwegs bin, sitzt Thomas gerne zuhause vor dem Computer und kümmert sich um seinen Imkerverband.
Sind Sie auch ein bisschen stolz, nun seit zehn Jahren verheiratet zu sein?
Thomas: Der ehemalige bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat ja mal gesagt, Homo-Ehen würden eh nur ein halbes Jahr halten. Wenn ich das nun aber mit Heterosexuellen vergleiche, kann ich nur sagen: Ätsch, wir können es genauso gut - wenn nicht sogar viel besser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“