Gesamteuropäische Medien: Geld, Geduld und kluge Worte

Mehrsprachige Medien sollen helfen, europäische Öffentlichkeit und Transparenz zu schaffen. Eine europäische Debatte macht das aber noch nicht aus.

EU-Subventionen: auch für mehrsprachigen Medien erforderlich. Bild: dapd

Nehmen wir das Beispiel Guttenberg. Als Ingolf Pernice kurz nach der Plagiatsaffäre um den Fast-Kanzlerkandidaten Karl-Theodor zu Guttenberg durch Europa reiste, fragten ihn seine Kollegen, was das mit dem Guttenberg auf sich habe. "Die Menschen reden über Dinge, die ihnen nahegehen", sagt der Berliner Professor für Europarecht und meint damit nicht nur die Wissenschaftsgemeinde. Meist geht es ums Geld, um Sicherheit oder um Kulturthemen.

"Man muss nicht traurig sein, dass es nicht ständig irgendwelche europäischen Großdebatten gibt. Wichtig ist doch, dass Debatten möglich sind", so Pernice. Übrigens dringe bei den Menschen langsam durch, dass die Entscheidungen in Brüssel wichtig seien. Alle europäischen Regeln, Initiativen und Urteile seien nur noch einen Mausklick entfernt.

Diese reine Datenbank-Transparenz ist allerdings unbrauchbar. Die Entscheidungsfindung in den EU-Institutionen ist zu komplex, Brüssel zu weit weg. Die Europäische Union ist ein weltweit einzigartiges Experiment, das seit über 50 Jahren weiterentwickelt wird. Inzwischen werden geschätzte 80 Prozent der nationalen Gesetze von EU-Regelungen zumindest beeinflusst.

EurActiv.de: wochentäglich 5 bis 10 Beiträge (Nachrichten, Analysen, Interviews, Gastbeiträge) zu aktuellen europapolitischen Themen, Ereignissen im europäischen Ausland und zu bundespolitischen Debatten mit EU-Bezug. Teil des paneuropäischen EurActiv-Netzwerks (Zentralredaktion in Brüssel, 14 nationale Redaktionen), online seit 2009.

The European Circle: wochentäglich aktualisierte Website mit Webcast-Formaten; European Circle Report: ein wöchentlicher Webcast-Nachrichtenüberblick, seit Juli auch auf Polnisch; Capital Beat: ein wöchentliches Webcast-Interview mit einem EU-Akteur, online seit 2007.

Cafébabel: Online-Europamagazin für die Generation Erasmus. Zahlreiche ehrenamtliche Lokalreporter in 21 Ländern, Zentralredaktion in Paris, online seit 2001.

Eurotopics.net: Zusammenfassungen von Meinungsbeiträgen aus der europäischen Presse in fünf Sprachen, täglicher Newsletter, finanziert durch die Bundeszentrale für politische Bildung, Jahresbudget derzeit: 700.000 Euro, online seit 2005.

Presseurop.eu: Übersetzung von etwa fünf bis sieben Beiträgen aus der europäischen Presse in zehn Sprachen, täglicher Newsletter, herausgegeben von einem Konsortium aus vier Magazinen, kofinanziert von der Europäischen Kommission mit drei Millionen Euro (2011), online seit 2009. (mka)

Beim alltäglichen Ringen um Kompromisse und Paketlösungen zwischen 27 Mitgliedsstaaten, Kommissionsbeamten, Europaparlamentariern und Interessensvertretern ist am Ende kaum nachvollziehbar, wer welche Mitverantwortung an einem EU-Gesetz trägt. Deshalb ist es auch abseits von Großdebatten zur Zukunft Europas wichtig, dass eine kritische Öffentlichkeit die EU und ihre Akteure begleitet. Um die Vorschläge und Vorgaben aus Brüssel zu verstehen, braucht es Politiker, die ihre Entscheidungen zu Hause verantworten müssen, Journalisten, die sie erklären können, und Medien, die darüber berichten wollen.

Hierarchisierung- und Sprachenproblem

"Das Problem besteht nicht im Mangel an Online-Nachrichten und -Informationen über die EU und ihre Institutionen, sondern eher in einer Vielfalt von Informationen ohne wirkliche Hierarchisierung, was darauf hinausläuft, dass zu viel Information ebenso gut ist wie keine Information." Das Zitat stammt aus einer 2010 verabschiedeten Entschließung des Europäischen Parlaments. Damit eine europäische Öffentlichkeit entstehen kann, müsse die EU "die Schaffung grenzübergreifender Medien fördern", forderten die Europaabgeordneten.

Es gibt solche grenzüberschreitenden Medien mit Europaschwerpunkt. Sie haben allerdings ein Sprachenproblem: Wer ein internationales Publikum erreichen will, muss auf Englisch veröffentlichen oder ist zumeist auf Subventionen oder Zuschüsse angewiesen, um Beiträge zu übersetzen.

Egon Huschitt hätte nichts gegen eine EU-Förderung für grenzübergreifende Medienprojekte. Huschitt ist ein Hamburger Geschäftsmann, er macht seine Geschäfte mit Medien und würde auch gern mit Europathemen Geld verdienen.

"Ich subventioniere aus Idealismus"

Sein Online-Magazin The European Circle ist seit seinem Start 2007 ein Minusgeschäft, dennoch setzt Huschitt auf Mehrsprachigkeit: Seit Juli gibt es den Webcast-Nachrichtenüberblick auch auf Polnisch. Demnächst soll die polnische Website mit übersetzten Beiträgen bestückt werden. Eine englische Version soll folgen.

"Ich subventioniere The European Circle aus Idealismus. Ich finde Europa toll. Ich sehe aber keine Chance, dass so ein Projekt in absehbarer Zeit privatwirtschaftlich finanziert werden kann", sagt Huschitt.

Ursprünglich hatte Huschitt The European Circle als Zeitschrift geplant. "Das war 1998. Ich habe sogar einen Dummy produziert. Dann habe ich das durchgerechnet und mich sehr schnell von dem Gedanken verabschiedet. Mir war klar: Wenn das schiefgeht, bin ich pleite", sagt Huschitt im Rückblick.

Dank Internet und sozialer Netzwerke können selbst mehrsprachige Medienexperimente zu Europathemen inzwischen deutlich preiswerter umgesetzt werden. Im Web wimmelt es an Projekten, die spezielle Zielgruppen erreichen und damit Teilöffentlichkeiten schaffen, die je nach Thema eine europäische oder globale Dimension erreichen können. Der weltweite Erfolg der Online-Enzyklopädie Wikipedia zeigt zudem, dass es durchaus möglich ist, sich der Idee einer europäischen beziehungsweise globalen Öffentlichkeit anzunähern.

Eine fünfsprachigen europäischen Presseschau

Die internationale Presseschau spiegelt die Sicht verschiedener Länder auf ein Thema und schafft dadurch fast nebenbei ein weiteres Element einer europäischen Öffentlichkeit. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat dieses Format seit 2005 zu einer fünfsprachigen europäischen Presseschau im Internet weiterentwickelt.

"Eurotopics.net soll zeigen, wo Debatten in der europäischen Presse- und Medienlandschaft synchron stattfinden. Außerdem greifen wir nationale Themen auf, damit sichtbar wird, wie bunt Europa ist. Wir zeigen damit aber auch, wie ähnlich gelagert manche Diskussionen in Europa verlaufen und von einer Öffentlichkeit in die andere wandern", erklärt Thorsten Schilling, Fachbereichsleiter Multimedia bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

Der Verzahnung verschiedener Medien unterschiedlicher Länder sind dabei kaum Grenzen gesetzt. "Wikileaks hat es mit der Zusammenarbeit mit Zeitungen und Magazinen in den USA und in Europa vorgemacht, wie es gehen kann", sagt Schilling. Damit Texte, die in mehreren Ländern von Interesse sein könnten, den Weg in deren Öffentlichkeit finden, hält er zudem einen europäischen Übersetzungsfonds für sinnvoll. "Die EU hat die Zollschranken gesenkt. Es gibt auch sprachliche Zollschranken, die gesenkt werden müssen", so Schilling.

Finanzierung von der EU und Abhängigkeit

Presseurop.eu ist ein solcher von der EU kofinanzierter Versuch, Sprachgrenzen zu überwinden. Seit 2009 veröffentlicht Presseurop.eu täglich etwa fünf Artikel aus europäischen Zeitungen und Zeitschriften, die vollständig in zehn Sprachen übersetzt werden. "Presseurop ist ein Premiumbeispiel für den Versuch, europäische Öffentlichkeit zu erleichtern", sagt Carsten Lietz, Pressesprecher der EU-Kommission in Berlin. "Die Kommission nimmt null Einfluss auf die Berichterstattung. Es geht allein darum, den Zugang zu den Pressebeiträgen zu erleichtern, und die Sprachbarrieren, die es nun mal gibt, abzusenken", erläutert Lietz.

Die Subvention europäischer Medienprojekte klingt verlockend, doch in der Praxis kann das zu Interessenskonflikten führen. Thierry Chervel, Journalist und Mitbegründer der Perlentaucher Medien GmbH, kennt die Probleme, die mit öffentlichen Aufträgen verbunden sind. Perlentaucher hat Eurotopics drei Jahre lang in Kooperation mit der französischen Wochenzeitschrift Courrier international aufgebaut und produziert. Nach einem FAZ-Artikel gegen den Perlentaucher hat die Bundeszentrale den Auftrag neu ausgeschrieben und an das Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung (n-ost) vergeben.

Signandsight.com, ein weiteres Perlentaucher-Projekt, will mithilfe von Meinungsbeiträgen, die aus dem Deutschen ins Englische übersetzt werden, europäische Debatten anregen. "Das ist uns auch gelungen, etwa bei der Debatte um den Islam in Europa, als Autoren wie Timothy Garton Ash und Pascal Bruckner miteinander gestritten haben. Da hat sich gezeigt, dass sich solche Debatten recht leicht anstoßen lassen", sagt Chervel. Allerdings läuft das Projekt inzwischen nur noch auf Sparflamme, da die Stiftungsförderung gekürzt wurde.

Transnationale Debatte gegen europäische Verunsicherung

Der ehemalige taz-Redakteur vermisst den publizistischen Willen in den Medien, europäische Debatten zu befördern. "Es ist auch schade, dass Stiftungen und andere Akteure der Zivilgesellschaft darin keine Chance erblicken. Dafür braucht man nicht viel Geld", so Chervel. Wie wichtig es ist, transnationale Debatte zu führen, zeigt die europaweite Verunsicherung über die Zukunft des Euros und der Europäischen Union.

"Es reicht nicht, dass die Griechen auf Deutschland und die Deutschen auf Griechenland schimpfen. Es fehlt eine länderübergreifende Debatte, in der Teilnehmer aufeinander Bezug nehmen, in der ein griechischer Autor einen Beitrag schreibt, ein deutscher Autor antwortet und dazu dann ein französischer Autor einen Standpunkt veröffentlicht", sagt Chervel.

Solche Debatten müssten allerdings zunächst auf Englisch geführt werden. "Englisch ist das Kleingeld der internationalen Verständigung. Vieles kann dann in andere Sprachen übersetzt werden", so Chervel.

Beim Thema zu Guttenberg hat das auch ohne einen EU-Übersetzungsfonds funktioniert.

Der Autor ist Redakteur beim europäischen Nachrichtenportal EurActiv.de.

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